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Meinungen - 04.06.2013 - 00:00 

Krawalle im öffentlichen Raum

Anlässlich der jüngsten Ausschreitungen nach zunächst friedlichen Protesten in der Schweiz wirft Benjamin Schindler einen Blick auf die rechtlichen Konsequenzen. Fazit: Eine einfache Lösung gibt es nicht.

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5. Juni 2013. Krawalle bei Kundgebungen sorgten in Schweizer Städten jüngst für Aufregung. Besondere Aufmerksamkeit erregten solche Anlässe, wenn es zu Gewaltakten, Sachbeschädigungen oder grösseren Verunreinigungen kam. Erinnert sei an Anlässe wie «Tanz dich frei» (Bern, Mai 2013), «Reclaim the Streets» (u.a. Zürich, Oktober 2012), spontane SMS-Partys (u.a. St. Gallen, Juli 2012) oder gemeinsame Trinkorgien (sog. «Botellóns», u.a. Zürich, August 2008). Der Ruf von Seiten der Politik nach den «Verantwortlichen» oder nach hartem Durchgreifen der Behörden («Nulltoleranzpolitik») mag verständlich sein. Zu bedenken ist aber, dass den Behörden von rechtlicher Seite her Grenzen gesetzt sind.

Meinungsfreiheit steht im Vordergrund
Wer öffentlichen Raum in Anspruch nimmt, kann sich hierfür auf seine Grundrechte berufen. Im Vordergrund stehen die Meinungsfreiheit (Art. 16 Bundesverfassung) und die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV). Auf die Meinungsfreiheit kann sich vor allem berufen, wer eine politische oder weltanschauliche Meinung im öffentlichen Raum zum Ausdruck bringen will.

Auf die Versammlungsfreiheit können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hingegen auch Personen berufen, welche sich bloss zu geselligen Zwecken zusammen finden. Etwa, weil sie gemeinsam «feiern» oder Alkohol konsumieren wollen. Allerdings besteht kein unbedingter Anspruch auf Nutzung des öffentlichen Raums, vor allem, wenn diese eine gewisse Intensität überschreitet. Für diesen «gesteigerten Gemeingebrauch» von öffentlichem Grund können die Behörden das vorgängige Einholen einer Bewilligung verlangen. Diese Bewilligung dient vor allem der Koordination mit anderen Nutzern des öffentlichen Raums (Betreiber von Marktständen, andere Veranstalter von Anlässen etc.), aber auch der Garantie der Sicherheit (etwa, wenn mit einer gewaltsamen Gegendemonstration gerechnet werden muss) sowie der Organisation von anschliessenden Reinigungsarbeiten. Vielfach ist das Bewilligungsverfahren auch Anlass für Absprachen zwischen Behörden und Organisatoren über den genauen Zeitpunkt und Ort des Anlasses.

Das anonyme Organisieren von Anlässen im öffentlichen Raum über das Internet oder per SMS führt regelmässig dazu, dass eine solche Bewilligung nicht eingeholt wird und die Behörden keine Ansprechpartner haben. Die Behörden werden dadurch in eine unangenehme Lage gebracht und auch andere Nutzer des öffentlichen Raums werden dadurch in der Ausübung ihrer Grundrechte behindert. Dieses rücksichtslose Verhalten ändert nichts daran, dass sich die Teilnehmer eines unbewilligten Anlasses grundsätzlich auf ihre Versammlungsfreiheit (und u.U. auch auf die Meinungsfreiheit) berufen können.

Wer ohne Bewilligung einen Anlass im öffentlichen Raum organisiert, kann auch nicht bestraft, unter Umständen aber mit einer Ordnungsbusse belegt werden (im Kanton Bern etwa mit einer Busse bis CHF 5‘000.00).

Gewaltsame Ausschreitungen bei friedlichen Demos
Verschiedene unbewilligte Anlässe waren in jüngerer Vergangenheit dadurch gekennzeichnet, dass sie von einer kleinen Gruppe gewaltbereiter Personen dazu missbraucht wurden, um Straftaten zu verüben (Sachbeschädigungen, aber auch Delikte gegen Leib und Leben). Dieses strafbare Verhalten ist nicht mehr von den Grundrechten geschützt. Es kann aber auch nicht ohne weiteres den Organisatoren eines Anlasses angelastet werden, selbst wenn diese keine Bewilligung eingeholt haben und anonym bleiben.

Insofern dürfte die Forderung gegenüber Betreibern von Internetplattformen, die Namen von Personen herauszugeben, in der Regel nicht zur Bestrafung der Betroffenen führen – abgesehen von einer Busse wegen Missachtung der Bewilligungspflicht. Es sei denn, die Organisatoren hätten ausdrücklich zu gewalttätigem Handeln aufgerufen. Auch dürfte es kaum verhältnismässig sein, den Organisatoren einer grundsätzlich als friedlich geplanten Versammlung die entstandenen Polizeikosten aufzuerlegen, wie ein jüngst ergangenes Urteil des Luzerner Verwaltungsgerichts deutlich macht.

Dadurch würde ein «chilling effect» entstehen, der Personen davon abhält, einen friedlichen Anlass zu organisieren. Die traditionellen, jeweils lange im Voraus bewilligten Kundgebungen am 1. Mai zeigen, dass jede Grossveranstaltung von wenigen, gewaltbereiten Personen «zweckentfremdet» werden kann.

Nulltoleranzstrategie führt nicht zum Ziel
Soll eine solche Situation verhindert werden, bedingt dies leider ein teures Grossaufgebot an Polizeikräften und ein schwieriges Abwägen zwischen Tolerieren und dem sofortigen Eingreifen bei Straftaten. Einfache Lösungen gibt es nicht: Weder eine «Nulltoleranzstrategie», die manchmal noch mehr Gewalt provoziert, noch die Herausgabe von Personendaten der vermeintlich «Verantwortlichen» führt zum Ziel.

Bild: Photocase / Katharina Levy

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