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Forschung - 04.04.2025 - 08:00 

Zwischen Erfolg und Disruption: Die Zukunft des Tourismus

Die Tourismusbranche hat nach der Pandemie vielerorts überraschend Rekordzahlen erreicht. Gleichzeitig steht sie vor tiefgreifenden Veränderungen, die das traditionelle Verständnis von Reisen und Freizeitmobilität infrage stellen. Ein neues Buch von Branchenexperten der Universität St.Gallen beleuchtet diese Entwicklungen und fragt: Steht das klassische Verständnis des Tourismus vor dem Ende?

Das Forschungsteam Thomas Bieger, Pietro Beritelli und Christian Laesser, angesiedelt am Institut für Systemisches Management und Public Governance (IMP-HSG) der Universität St.Gallen, präsentiert im Buch «Das Ende des Tourismus?» eine umfassende Neugestaltung der Tourismuslehre. Der Titel spiegelt die Herausforderungen, welchen sich der traditionelle Tourismus gegenübersieht: 

Ein Paradigmenwechsel im Tourismusverständnis 

  • Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, moderne Lebensformen mit mehreren Standorten:
    Neue Lebens- und Arbeitsmodelle wie Homeoffice und «Workation» verwischen die Grenzen zwischen Wohn- und Arbeitsort. Menschen leben in Patchworkbeziehungen und internationalen Familienbeziehungen. Sie haben mehrere Wohnorte. Viele Reisen, wie der Besuch von Freunden und Familie im Ausland, sind deshalb nicht mehr im engeren Sinne touristisch. Dies erschwert die klassische Definition von Tourismus, die auf dem Verlassen des gewöhnlichen Umfelds basiert.  
  • Digitale Plattformen als neue Akteure:
    Unternehmen wie Airbnb, Booking.com und Uber prägen zunehmend das touristische Angebot und stellen traditionelle Strukturen infrage. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Tourismus mit den klassischen Instrumenten überhaupt noch gesteuert werden kann. 
  • Unklare Destinationsgrenzen:
    Die Vielfalt der Reisemotive und -ströme führt dazu, dass Destinationen nicht mehr klar abgrenzbar sind. Reisende konsumieren Leistungen oft über traditionelle Destinationsgrenzen hinweg. Es stellt sich die Frage, ob die traditionelle, oft geographisch ausgerichtete Struktur der Tourismusorganisation noch greift. 
  • «Overtourism» und Reisen, das der Umwelt schadet:
    Angesichts von Klimakrise, Infrastrukturüberlastung und Wohnraummangel wird der Tourismus in vielen Regionen kritisch gesehen. Es stellt sich die Frage, ob in Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum und zunehmenden Freizeitbedürfnissen Tourismusförderung überhaupt noch sinnvoll ist und ob Standortförderung insgesamt nicht hinterfragt werden muss. 

Die Schweiz im Spannungsfeld von Tradition und Innovation 

Die Forschenden sehen sowohl Chancen als auch Herausforderungen für die Schweiz als klassische Tourismusdestination und Wirtschaftsstandort mit starkem Bevölkerungswachstum. Die traditionelle Tourismuslehre wird nicht nur hinterfragt. Die Autoren legen auch die Grundlage für eine neue Tourismuslehre. Beispiele sind: 

  • Das Verständnis des gewöhnlichen Lebensumfelds als Netzwerk teilweise weit auseinander gelegener Orte.
  • Die Erweiterung des touristischen Systemmodells mit den gewichtigen Plattformen.
  • Die Erklärung der Tourismusnachfrage als Resultat eines Systems von Teilentscheidungen, Reisebiografie und sozialem Umfeld.
  • Die Neugestaltung touristischer Angebote mit dem Ziel, nicht nur Qualität, sondern auch Produktivität zu sichern. Konsolidierung der Betriebe und Einsatz von Robotik bieten Perspektiven, Produktivität zu steigern und touristische Tätigkeiten attraktiver zu gestalten. 
  • Destinationen neu erfassen und verstehen: Reiseziele flexibel und nachfrageorientiert über politische und geographische Grenzen hinaus denken. 
  • Die Folgen des Tourismus für die Natur, aber auch die Gesellschaft besser zu verstehen. «Gentrification», die Verdrängung von weniger wertschöpfungsintensiven Aktivitäten oder weniger zahlungskräftigen Einwohnenden und Kunden sind ein ständiger Prozess, der Städte und Räume umgestaltet. Es braucht auch für gesellschaftliche Nachhaltigkeit neue Konzepte der Tourismus- und Standortförderung.  

 

Fazit 

Der Tourismus steht an einem Wendepunkt. Traditionelle Konzepte werden durch neue Lebensrealitäten, technologische Entwicklungen und gesellschaftliche Debatten herausgefordert. Für die Schweiz bedeutet dies, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und innovative Ansätze zu verfolgen, um weiterhin eine führende Rolle im globalen Tourismus einzunehmen.


Das Ende des Tourismus? Tourismuslehre neu gedacht. Verlag: Haupt, 1. Auflage.
Autoren: Thomas Bieger, Christian Laesser, Pietro Beritelli. ISBN: 9783825263690.


Bild: aletscharena.ch

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