Forschung - 16.09.2025 - 12:00
Die Luftfahrt befindet sich im Umbruch. Um die Veränderung besser zu verstehen, hat ein Forscherteam des Center for Aviation and Space Competence (CFAC-HSG) der Universität St.Gallen gemeinsam mit Lufthansa Consulting während der vergangenen zwei Jahre geforscht. Auf der Basis dieser Analyse haben Andreas Wittmer und sein Team haben zusammen mit Vertretern von Lufthansa Consulting ein neues Modell entwickelt, welches die Geschäftsmodelle von Airlines differenziert erfasst.
Das sogenannte Airline Business Model Framework, kurz ABMF, klassifiziert Fluggesellschaften anhand von 17 Komponenten – von der Preisstruktur über das Servicelevel bis hin zu Zielmärkten und Flottenstrategie. Die Studie zeigt: Die Grenzen zwischen Billigfliegern und klassischen Netzwerkcarriern verschwimmen zunehmend. Für Passagiere hat das Konsequenzen – sowohl beim Buchen wie beim Fliegen selbst.
Bisher unterschieden Branchenbeobachter zwischen Low-Cost-Carriern (LCC) wie EasyJet oder Ryanair, Full-Service-Carriern (FSC) wie Lufthansa oder Swiss, und Nischenanbietern wie Regional- oder Ferienfliegern. Diese Einteilung greift laut den Forschern der Universität St.Gallen zu kurz. Stattdessen lassen sich künftig vier neue Airline-Modelle ausmachen:
Besonders der Value Carrier steht für die Evolution der Branche. Er kombiniert günstige Preise mit leicht verbessertem Service, nutzt Omnichannel-Vertrieb und bietet ein eigenes Loyalitätsprogramm – also mehr als ein Billigflieger, aber nicht ganz auf dem Niveau klassischer Premiumanbieter. Diese neue Flexibilität erlaubt es Airlines, gezielter auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Kundengruppen einzugehen.
Für Fluggäste wirkt sich diese Transformation unmittelbar aus – und nicht nur beim Komfort an Bord. Wer heute ein Flugticket bucht, muss sich durch ein immer komplexeres Preis- und Servicemodell klicken. Die Basispreise bleiben niedrig, dafür steigen die Zusatzkosten. Gepäck, Sitzplatzwahl, Bordverpflegung – all das wird immer öfter separat verrechnet. Das sogenannte «Unbundling» ist längst auch bei Netzwerkairlines angekommen. Selbst Premiumanbieter wie Swiss führen inzwischen Tarifmodelle ohne Aufgabegepäck ein.
Für Vielflieger kann das zu Frustration führen: «Der gleiche Flug kann je nach Buchungsweg, Tarif und Serviceumfang völlig unterschiedlich aussehen», sagt Dr. Andreas Wittmer, Co-Autor der Studie. Gleichzeitig profitieren flexible Kunden von mehr Wahlfreiheit und potenziell günstigeren Angeboten – wenn sie bereit sind, Kompromisse beim Komfort einzugehen.
Trotz steigender Ticketpreise bleiben die Margen dünn. Fliegen bleibt teuer, aber profitabel ist es für viele Airlines nur durch Zusatzverkäufe. Dies erklärt den zunehmenden Fokus auf sogenannte Ancillaries – also Erlöse aus Bordverkäufen, Upgrades oder Reiseversicherungen. Gemäss dem neu entwickelten Modell gewinnen diese Einnahmequellen weiter an Bedeutung. Der reine Ticketverkauf deckt die Kosten kaum mehr.
Besonders deutlich zeigt sich dieser Trend bei Langstreckenflügen. Hier entstehen neue Anbieter wie der Long-Haul Value Carrier, der mit günstigen Interkontinentalflügen bis maximal 9 Stunden Flugzeit punktet – oft mit minimalem Komfort, aber klar segmentierten Tarifklassen. Ein Beispiel war der inzwischen gescheiterte Versuch von Norwegian auf der Langstrecke. Neue Player, wie die isländische PLAY oder das britische Startup Global Airlines, versuchen es nun erneut – mit gemischtem Erfolg.
Auch das Streckennetz verändert sich. Während klassische Netzwerkairlines weiterhin auf Hubs setzen – etwa Zürich oder Frankfurt – bauen viele Kontinental-Anbieter auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. So lassen sich Kosten sparen und neue Destinationen erschliessen, etwa im Ferienverkehr. Die Studie des CFAC-HSG zeigt, dass die Wahl des Flughafenmodells ein zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells ist – und je nach Zielgruppe stark variiert. Für Schweizer Reisende bedeutet das: Es lohnt sich mehr denn je, bei Flugbuchungen genau hinzusehen. Wer früher blind zur Landesairline griff, muss heute genau vergleichen – nicht nur beim Preis, sondern auch beim Service.
Die Diversifizierung der Airline-Modelle bietet Chancen – für Anbieter wie für Konsumenten. Kunden profitieren von grösserer Auswahl und individuelleren Angeboten. Gleichzeitig wächst die Verantwortung, sich durch die Tarifstruktur zu kämpfen und bewusst zu wählen. Die alten Kategorien von Billig und Luxus sind überholt – es zählt das konkrete Modell. Wer nicht genau hinsieht beim Buchen, zahlt oft zu viel.
Die Studie steht hier zum Download zur Verfügung.
Bild: Adobe Stock / 06photo
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