Forschung - 06.12.2022 - 09:37
Jamie Gloor, was wollte Ihr Team mit dieser Studie erreichen und weshalb haben Sie diese durchgeführt?
Obwohl Arbeitnehmer:innen im Laufe ihres Berufslebens häufig Unterbrechungen ihrer beruflichen Laufbahn erleben (z.B. aufgrund von Pflege, Krankheit oder Stellenabbau infolge der Covid-19-Pandemie), stehen diese Arbeitnehmenden – insbesondere Frauen und Mütter – vor zusätzlichen Herausforderungen bei einem Wiedereinstieg. Oft ignorieren potenzielle Arbeitgeber solche Bewerbungen. Dies, obwohl Untersuchungen zeigen, dass sich kurze Unterbrüche kaum oder gar nicht auf Fähigkeiten auswirken. Als Verhaltenssozialwissenschaftler und Experten für Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration haben wir uns daher gefragt: Wie kann man diese Voreingenommenheit abbauen und Bewerbenden mit (Karriere-)Lücken helfen, wieder in den Beruf zurückzukehren?
Einige Forschungsarbeiten haben bereits versucht, diese Fragen zu beantworten. Die entwickelten und getesteten Strategien erfordern jedoch häufig zusätzliche Anstrengungen von den Bewerbern – die möglicherweise bereits über weniger Ressourcen verfügen, um die Strategien effektiv umzusetzen. Oder von den Personalverantwortlichen – die oft wenig Zeit oder Motivation haben, sich bei zahlreich eingegangenen Bewerbungen in der Durchsicht «extra» anzustrengen. Häufig wurde die (praktische) Empfehlung gegeben, dass Bewerber ihre Lücken im Lebenslauf erklären sollten. Hierbei fehlt es jedoch an wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber, wie sie dies genau tun sollten. Und es ist unklar, ob dies die Voreingenommenheit wirksam verringert und die Beschäftigungschancen der Bewerber effektiv verbessert.
Daher haben wir Erkenntnisse aus der Psychologie mit jenen aus Urteilsvermögen und Entscheidungsfindung kombiniert und einen neuen Eingriff entwickelt – einen kostenlosen, wenig aufwändigen «Anstoss», der die Art und Weise, wie Bewerber ihre Berufserfahrung in ihren Lebensläufen darstellen, neu gestaltet.
Wie kann Voreingenommenheit gegenüber Arbeitssuchenden mit lückenhaften Lebensläufen verringert werden?
Hierzu haben wir eine Strategie getestet: Die Berufserfahrung der Bewerber:innen wird in ihrem Lebenslauf als Gesamtzahl der Jahre, und nicht als Datum, angegeben. Auf diese Weise präsentieren die Bewerbenden dieselben Informationen wie im herkömmlichen Format, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Die Lücken im Lebenslauf sind nicht sichtbar und können daher nicht gegen sie verwendet werden. Dass Interviewer in der zweiten Phase des Einstellungsverfahrens nach Lücken oder dem neuartigen CV-Design fragen, ist zwar möglich, die meisten Bewerber mit im CV erkennbaren Lücken werden jedoch bereits im ersten Schritt aussortiert.
Wie würden Sie die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Arbeit zusammenfassen?
Unser randomisiertes Feldexperiment auf der Grundlage von 9022 realen Stellenangeboten hat gezeigt, dass die Rückrufquote bei Bewerber:innen mit den neu gestalteten Lebensläufen um 15% höher war als bei Arbeitnehmenden mit Beschäftigungslücken. Weiterhin um 8% höher als bei Arbeitnehmer:innen ohne Beschäftigungslücken. Folgeexperimente mit 2650 erfahrenen Personalchefs zeigten, dass dieser Effekt darauf zurückzuführen ist, dass die tatsächliche Berufserfahrung der Bewerber stärker ins Blickfeld rückt – und nicht darauf, dass die neu gestalteten Lebensläufe einfach neu oder für Personalchefs leichter zu lesen sind.
Wir untersuchten männliche und weibliche Bewerbende mit und ohne Beschäftigungslücken, die in verschiedenen Branchen tätig waren, mit mehr (d.h. 15 Jahren) und weniger (d.h. 5 Jahren) Gesamtberufserfahrung. Aufgrund der Erkenntnisse ist unsere Strategie also ein wirksamer Mikro-Eingriff für viele verschiedene Personentypen und Arbeitsuchende mit unterschiedlichen Erfahrungsniveaus.
Konzentriert haben wir uns jedoch auf Daten aus dem Vereinigten Königreich und kürzere Lücken im Lebenslauf (d.h. 2,5 Jahre). Es ist daher unklar, ob diese Strategie für Bewerber in anderen Ländern oder für Bewerber mit längeren Lücken im Lebenslauf ebenso wirksam wäre. Allerdings kann es sein, dass sich die beruflichen Kompetenzen, das Wissen und/oder die wertvollen Netzwerke der Bewerber bei längeren Unterbrechungen der beruflichen Laufbahn zu verschlechtern beginnen; 2,5 Jahre war denn auch die durchschnittliche Dauer der Beurlaubung der Mütter.
Wie sieht es mit der Einstellung von Manager:innen und Führungskräften aus?
Diese Arbeit konzentrierte sich auf die Perspektive der Bewerber. Aber auch Personalverantwortliche und Führungskräfte in Unternehmen können auf Grundlage der Forschungsergebnisse evidenzbasierte Massnahmen ergreifen. Sie können diese Massnahme beispielsweise zu ihrem Set an «Debiasing»-Strategien hinzufügen, ähnlich wie die zunehmend verbreiteten Bemühungen, Namen und/oder geschlechtsspezifische Informationen wie Pronomen aus den Bewerbungsunterlagen zu entfernen. Wenn das Bewerbungsverfahren einen Lebenslauf erfordert, können Arbeitgeber den Bewerbenden in einer kurzen Anweisung empfehlen, ihre Berufserfahrung als Gesamtzahl der Jahre anzugeben. Wenn das Einstellungssystem des Arbeitgebers die Berufserfahrung abfragt, kann es auch nach Gesamtjahren anstelle des traditionellen Datumsformats fragen.
Welche Auswirkungen erhoffen Sie sich von diesen Erkenntnissen für die Praxis?
Angesichts des Talentmangels, mit dem Organisationen heute konfrontiert sind, erscheint es nur logisch, einfache Schritte wie diese zu unternehmen, um die Einbeziehung qualifizierter Bewerber:innen in den Einstellungsprozess zu verbessern und damit letztlich die Effizienz und Nachhaltigkeit unserer Anstellungen zu stärken. Wir hoffen, dass unser Mikro-Eingriff für Arbeitssuchende hilfreich ist und auch andere dazu inspiriert, ähnlich einfache, kostenfreie und aufwandsarme Interventionen zum Nutzen von Wissenschaft und Gesellschaft zu entwickeln, zu testen und einzusetzen.
Die Publikation «Reducing discrimination against job seekers with and without employment gaps» (Verringerung der Diskriminierung von Arbeitssuchenden mit und ohne Beschäftigungslücken) erschien im Nature Human Behaviour Journal und wurde von einem internationalen, interdisziplinären Team mitverfasst: Ariella S. Kristal (Harvard Business School, USA), Leonie Nicks (Behavioural Insights Team, London, UK), Jamie L. Gloor (CCDI, FIM-HSG), und Oliver P. Hauser (University of Exeter Business School, UK).
Bild: Adobe Stock / A Stockphoto
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