Hintergrund - 30.07.2019 - 00:00
Geboren am 26. Juli 1912 in Gossau (SG) als Tochter eines Reallehrers, besuchte Hanny (Johanna Hermina) Thalmann zunächst die örtliche Primarschule. Nach dem frühen Tod ihres Vaters (1920) zog die verwitwete Mutter mit ihr und den Geschwistern nach Flums (SG). Im Anschluss an den Besuch der Realschule absolvierte Hanny Thalmann eine Kaufmännische Lehre in Walenstadt (SG). An der Handelsschule des Lehrinstituts Menzingen (ZG), einer von katholischen Nonnen geführten Institution, vertiefte und erweiterte sie ihr Studium in den Handelsfächern und erlangte das Handelsdiplom.
Im März 1930 konnte sich Hanny Thalmann aufgrund ihrer guten Zeugnisse an der Handels-Hochschule für den Vorkurs (Sommersemester 1930 bis Sommersemester 1931) einschreiben. Am 21. April 1931 bestand sie die Handelsmaturitätsprüfung mit «genügend». Zum Wintersemester 1931/32 erfolgt die Immatrikulation an der Hochschule. Bedingt durch eine Lungenkrankheit, verzögerte sich ihr Studium um mehrere Semester, und sie musste für die Zeit vom Sommersemester 1932 bis zum Sommersemester 1933 beurlaubt werden. In ihrem Onkel, Dr. Richard Senti, katholischer Stadtpfarrer von Wil (SG), hatte sie einen ermutigenden Mentor, bei dem sie während zweieinhalb Jahren sämtliche administrativen Büroarbeiten des Pfarrbüros erledigte. Im Wintersemester 1936/37 erfolgte eine weitere, diesmal praxisbedingte Beurlaubung vom Studium: Während eines Jahres nutzte sie die Möglichkeit, sich in der Sparkassa der Administration, Filiale Wil, praktisch ins Bankwesen einzuarbeiten. Im Oktober 1937 schliesslich bestand sie das Handelslehrer-Diplom mit der Gesamtnote «gut».
Nach dem erfolgreichen Abschluss des Diploms wurde Hanny Thalmann an die erweiterte Handelsschule Menzingen (ZG) berufen. Dort unterrichtete sie als weltliche Lehrerin zwei Jahre in den Diplom- und Maturakursen die Handelsfächer.
Unter dem Rektorat von Prof. Walther Hug erhielt die Handels-Hochschule 1938 das Promotionsrecht. Hanny Thalmann schrieb sich zum Wintersemester 1939/40 für das Promotionsstudium in Wirtschaftswissenschaften ein. Gleichzeitig erhielt sie einen Lehrauftrag an der Kaufmännischen Berufsschule in Uzwil (SG).
Im Juli 1943 wurde ihre umgearbeitete Dissertation «Die Industrie im Sarganserland» abgenommen, und nach der erfolgreichen Bewältigung der mündlichen Prüfungen erhielt sie als erste Studentin der Hochschule die Würde einer Doktorin der Wirtschaftswissenschaften (zweite Promotion der Hochschule).
Von 1945 bis 1974 unterrichtete Hanny Thalmann an der Berufsschule für Detailhandel in St.Gallen (ab 1958 als Rektorin). Zudem engagierte sie sich von 1950 bis 1981 als Vorstandsmitglied der Frauenzentrale des Kantons St.Gallen sowie von 1954 bis 1988 als Mitglied des Kantonalvorstands des Katholischen Frauenbundes St.Gallen-Appenzell für die Anliegen und Rechte von Frauen. Durch Vorträge verfolgte sie das Ziel, Frauen für aktuelle Themen wie das Frauenstimmrecht zu interessieren, und sie erwarb sich Verdienste um die Berufs- und Weiterbildung von Frauen. 1968 wurde Thalmann zur ersten Erziehungsrätin des Kantons St.Gallen gewählt. In diesem Amt, das sie bis zum 31. Dezember 1982 bekleidete, setzte sie sich u.a. für die Lehrerbildung und die gleichen Ausbildungschancen für Jungen und Mädchen ein.
Nach dem formellen Inkrafttreten des Frauenstimmrechts im März 1971 wurde Hanny Thalmann bei den Schweizer Parlamentswahlen im Herbst 1971 als erste Nationalrätin des Kantons St.Gallen für die CVP nach Bundesbern geschickt. Bis November 1979 wirkte sie in den Schwerpunkten Bildungs- und Sozialfragen. Sie setzte sich mit ihrem konservativ-katholischen Hintergrund u.a. für den Mutterschaftsschutz und eine Mutterschaftsversicherung ein. Sie prägte das neue Berufsbildungsgesetz von 1978 massgeblich mit.
Im Wintersemester 1982/83 referierte Hanny Thalmann im Rahmen der Öffentlichen Vorlesungen der HSG zu Fragen des Alt- und Älterwerdens über «Seelische Wandlungen beim alternden Menschen. Wie reagiert die Umwelt?» und «Die wirtschaftliche Lage unserer Rentner mit Berücksichtigung der Stellung der Frau». Zum fünfzigjährigen Jubiläum der Promotion wurde sie am Hochschultag 1993 als erste Doktorin der HSG geehrt.
Dr. Hanny Thalmann starb am 11. Mai 2000 in St.Gallen.
Foto: Dr. Hanny Thalmann am Hochschultag 1993
Portal zur Geschichte der Universität St.Gallen
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