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Meinungen - 05.06.2015 - 00:00 

Wäre der Grexit ein Problem?

Griechenland steht schon lange am Rande des Ausstiegs aus der Eurozone. Immer mehr Menschen in Griechenland und anderswo sehen den Austritt des Landes aus der Währungsunion als einzig noch mögliche Lösung, schreibt HSG-Wirtschaftshistoriker Florian Schui.

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4. Juni 2015. Aber ist ein Ausscheiden Griechenlands wirklich eine gute Lösung? Die Antwort hängt hauptsächlich davon ab, welche Folgen man als Konsequenzen eines Austritts annimmt.

Deutsche und andere europäische Politiker sind sehr bemüht zu betonen, dass ein Ausstieg Griechenlands keine Katastrophe, sondern vielmehr ein kontrollierbares Ereignis wäre, das nur eine geringfügige ökonomische Störung verursachen würde. Aus ökonomischer Sicht, könnten diese Stimmen durchaus recht behalten. Aus politischer und historischer Sicht wäre ein Austritt Griechenlands jedoch verheerend.

Die ökonomischen Konsequenzen

Es ist durchaus richtig, dass die ökonomischen Konsequenzen eines griechischen Ausscheidens aus der Eurozone und eines anschliessenden Schuldenausfalls vielleicht nicht katastrophal wären. Die Gläubiger hatten hinreichend Zeit, sich auf einen möglichen Ausfall vorzubereiten, und der Grossteil der griechischen Schulden liegt ohnehin in den Händen staatlicher Institutionen. Die Finanzmärkte könnten daher ruhig bleiben. Das starke finanzielle Engagement nationaler Regierungen und internationaler Organisationen schafft jedoch auch Probleme. Im Fall eines griechischen Ausfalls würden die Darlehen und Garantien, die andere Länder Griechenland gewährt haben, zu echten Verlusten werden, für die die europäischen Steuerzahler aufkommen müssten. Das würde die Beziehungen zwischen Griechenland und dem restlichen Europa sicherlich noch mehr belasten und eine zukünftige Zusammenarbeit erschweren.

Der politische Schaden für die EU würde dadurch verschlimmert, dass sich die wirtschaftliche Situation Griechenlands durch ein Ausscheiden aus der Eurozone tatsächlich verbessern könnte: der griechische Staatshaushalt würde plötzlich von gewaltigen Zinszahlungen befreit und die Exporte würden dank einer entwertenden neuen Währung erleichtert. Importe wie Rohstoffe und Technologie würden sich verteuern. Das würde zwar Griechenlands weitere ökonomische Entwicklung erschweren, würde aber auch die Konsumenten zwingen, auf in Griechenland hergestellte Produkte zurückzugreifen und somit zur wirtschaftlichen Erholung beitragen. Das Beispiel Islands zeigt, dass radikale Schuldenschnitte ökonomisch durchaus sinnvoll sein können.

Der wirtschaftliche Schaden eines Grexit wäre daher wohl begrenzt. Ohne den Euro könnte Griechenland besser dastehen und der Rest von Europa nur mässigen Schaden nehmen. Jedoch sind die ökonomischen Konsequenzen nicht die einzigen Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Die politischen Folgen eines griechischen Ausscheidens aus der Eurozone wären um einiges schädlicher. Der Fall Griechenlands würde ein starkes Signal an andere Krisenstaaten aussenden. Die Botschaft wäre, dass man keine Solidarität vom restlichen Europa erwarten kann, wenn man sie wirklich Hilfe braucht. Die EU würde damit eindeutig demonstrieren, dass sie vorzieht, ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaft zu akzeptieren, als sich von ihrer falschen Sparpolitik zu verabschieden. Diese Sturheit in Verbindung mit einer möglichen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in Griechenland nach einem Austritt würde wie eine Werbung für den Euroaustritt wirken.

Politischer Schaden

Die politische Situation würde auch durch die Tatsache verkompliziert, dass Griechenland die Eurozone verlassen, aber in der EU bleiben würde. Dadurch würde sich der Schaden hinsichtlich des politischen Vertrauens und der Zusammenarbeit, der aus einem Verlassen der Eurozone resultiert, auf alle anderen Bereiche europäischer Zusammenarbeit auswirken. Am schlimmsten wäre es sicherlich, wenn sich Griechenland finanzielle Hilfe suchend an Russland oder ein anderes nicht EU-Land wenden und somit eine Art fünfte Kolonne im europäischen System werden würde.

Selbst ohne den möglichen Schaden, der sich aus einem Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone ergeben würde, ist die Position der EU bereits schwächer als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in ihrer Geschichte. In naher Zukunft könnte sich Grossbritannien von einigen Teilen der europäischen Zusammenarbeit distanzieren, und die Zunahme von Kleinstaaterei und Nationalismus in der Union ist eine grosse Herausforderung für das europäische Projekt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden ein Neuanfang und der Beginn einer neuen Ära europäischer Zusammenarbeit durch die Grosszügigkeit von Deutschlands Opfern und durch Deutschlands Bereitschaft, in Zukunft eine konstruktive Rolle zu spielen, ermöglicht. Aber grosse Gesten und politische Entschlossenheit auf beiden Seiten allein hätten die europäische Integration nie so weit voranbringen können. Die EU konnte breite Unterstützung in den Bevölkerungen Europas gewinnen, weil sie wirtschaftlichen Wohlstand und politische Stabilität für alle Einwohner des Kontinents bot. Seit der Finanzkrise 2008 hat eine schlecht durchdachte Wirtschaftspolitik dem ersten Ziel grossen Schaden zugefügt. Wenn diese Politik nicht revidiert wird, wird sie auch das zweite schädigen, vielleicht unwiderruflich.

Bild: cw-design / photocase.de

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