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Hintergrund - 06.05.2024 - 10:00 

Demokratie als knappes Gut

Das 53. St.Gallen Symposium fand unter dem Motto «Confronting Scarcity» statt. In vielen Panels wurde auch die zunehmende Knappheit an Freiheit, Demokratie und Frieden auf der Welt thematisiert.

Auf den ersten Blick schien alles beim Alten beim Betreten des Geländes des diesjährigen Symposiums vergangenen Freitag. Da waren diese charakteristischen Sonnensegel, welche jedes Frühjahr vor dem Hauptgebäude der Universität St.Gallen (HSG) aufgespannt werden, um den fürs Soziale Netzwerken vorgesehenen Platz vor allfälligen Regengüssen zu schützen. Da waren die vielen jungen, motivierten Studierenden des International Students Commitee, welche das St. Gallen Symposium jedes Jahr aus dem Boden stampfen und einem an jeder Ecke hilfsbereit Auskunft erteilen. Doch irgendwie lag da trotz diesen vertrauten Eindrücken ein noch etwas anderer Vibe in der Luft, auch wenn man ihn zu Beginn nicht richtig benennen konnte.

Schlagkräftig für die Demokratie

Startschuss hatte das St. Gallen Symposium schon zwei Tage zuvor unter dem Motto «Confronting Scarcity». Knappheit herrschte jedoch auch am diesjährigen Grossanlass keinesfalls an hochkarätigen Gästen. Unter ihnen etwa Wladimir Klitschko, ehemaliger Boxweltmeister und Bruder von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Einen Mangel machte dieser in seiner Rede jedoch vor allem bei der Unterstützung des Westens für die Ukraine in Sachen Waffen und Munition aus. Dies sei frustrierend, denn die Ukraine habe sich dafür entschieden, Teil der freien Welt zu sein. «Wir geben viel dafür, die Demokratie zu verteidigen», so Klitschko.

Politische Einflussnahme auf die Presse nimmt zu

Dass die Demokratie solche schlagkräftigen Kämpfer eigentlich gut gebrauchen könnte, war auf vielen der anderen Podien am diesjährigen St. Gallen Symposium ein brennendes Thema. Denn seit Jahren machen verschiedene Studien, wie etwa jene der Bertelsmann-Stiftung, einen Rückgang an Demokratie weltweit fest. Dass gerade politische Kräfte auf der ganzen Welt immer stärker an demokratischen Werten wie etwa der Pressefreiheit zu sägen beginnen, betont auch Antoine Bernard von den Reportern ohne Grenzen. Er stellte am St. Gallen Symposium, das dieses Jahr auch mit dem internationalen Tag der Pressefreiheit zusammenfiel, die Ergebnisse des neusten Freedom-of-the-Press-Indizes vor. Neben der Tatsache, dass nur in einem Viertel der Staaten genügend oder gute Bedingungen für den Journalismus herrschen und die Hälfte der Weltbevölkerung in Ländern mit den niedrigsten Werten für Pressefreiheit lebt, ist eine wichtige Erkenntnis der aktuellen Erhebung, dass die politische Einflussnahme auf den Journalismus weltweit im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen hat. Dies sei insbesondere besorgniserregend, weil 2024 in zahlreichen Ländern Wahlen stattfinden. «Viele Regierungen kommen ihrer Aufgabe, die Freie Presse zu schützen, nicht mehr nach, sondern sind zunehmend selbst Urheber von Falschinformationen, Propaganda und Einschüchterungen von Medienschaffenden», so Bernard.

Die US-Wahl als Entscheidungsschlacht

Doch nicht nur Regierungen weltweit, auch viele Bürger:innen selbst seien mit Demokratie überfordert, sagt derweil Prof. Dr. Christine Abbt. Sie ist Philosophieprofessorin an der HSG und einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Demokratietheorie. «In der Wahrnehmung vieler erscheint die Welt heute komplexer als früher. Auf diese Komplexität demokratisch zu reagieren, verlangt auch nach Kapazitäten. Wo solche fehlen, bieten sich Vereinfachungen, Ablenkung und der Rückzug ins Private an. Demokratien aber benötigen informierte und neugierige Personen, die am politischen Gespräch mit Andersdenkenden partizipieren wollen.» Gerade mit Blick auf die USA scheint diese Aussage äusserst aktuell. Der diesjährigen Präsidentschaftswahl, so befürchten viele, dürfte auch die Bedeutung einer Entscheidungsschlacht für die Stärkung oder die Schwächung von demokratischen Werten weltweit zukommen. Zurück am Symposium mahnte etwa Wladimir Klitschko mit einer selbst für einen Boxer ungewöhnlich düsteren Miene: «Wir könnten schon dieses Jahr an einen Entscheidungspunkt im Krieg mit Russland gelangen» und spielt damit auf einen möglichen Sieg Donald Trumps an, dessen Bereitschaft, die US-Unterstützung für die Ukraine weiterzuführen, höchst ungewiss ist. 

Trump 2.0 wird schlimmer als Trump 1.0

Am Symposium beschäftigt die im November anstehende Wahl in den USA, aber nicht nur die politische Welt sondern auch die Wirtschaft, wie an einem der vielen Roundtables klar wird. Moderiert wird die kleine Runde zahlreicher Wirtschaftsführer:innen von Timo Blenk, CEO von Agora Strategy, einem Beratungsunternehmen rund um geopolitische Fragestellungen. In seinem Einführungsreferat macht er klar, dass die US-Politik nach einem allfälligen Sieg Trumps 2.0 wohl stärker umgekrempelt würde, als während seiner ersten Amtszeit. Denn dieses Mal könnte er auf einen grösseren Teil von getreuen Personen in der US-Administration zählen. Für Europa und seine Wirtschaft würde Trump 2.0 wohl bedeuten, dass es mit den USA wieder stärker um Zölle verhandeln muss, und sich der Wettbewerb mit Amerika um Technologien und Rohstoffe verstärken würde. Diese Situation würde die ohnehin schon starke Abhängigkeit Europas von ausländischen Rohstoffen, allen voran von China, noch zusätzlich verschärfen.

Ein fragiles Team

Vor dem Hintergrund dieses Szenarios gepaart mit Trumps wiederholten Drohungen, aus der Nato auszusteigen, stellt sich natürlich die Frage, wie Europa seinen Einfluss in der Welt und seine Werte in Zukunft absichern kann. Dies vor allem auch angesichts der Fliehkräfte, die sich in der EU immer wieder bemerkbar machen. Explosivität liess daher ein weiteres Podium erwarten, an welchem Ungarns Aussenminister Péter Szijjártó teilnahm. «Wir plädieren für starke, unabhängige und souveräne Staaten als Mitgliedsländer der EU», machte er zu Beginn klar und unterstrich zudem, dass sich Ungarn für eine schnellen EU-Beitritt der westlichen Balkanstaaten stark machen will, die seit Jahren auch wegen deren Mängel in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Beitrittsprozess stecken geblieben sind. Der ebenfalls am Podium teilnehmende ehemalige Lettische Präsident Egils Levits entgegnete ihm darauf: «Wir brauchen EU-Mitgliedsländer, die wirklich überzeugt sind von der europäischen Sache. Einem Beitritt von Serbien würde ich daher aktuell niemals zustimmen.» Um Stärke zu gewinnen und die eigenen Werte verteidigen zu können, müsse man in der EU viel eher in militärische Abschreckung investieren. Einigkeit herrschte auf dem Podium hingegen, dass die EU aufgrund der vielen Kulturen kein monolithischer Block sein kann, «aber ein Team, das gemeinsam seine Stimme in der Welt erhebt», wie der anwesende Regierungschef Liechtensteins, Peter Risch, betonte und damit auch die nicht der EU angehörigen Europäischen Länder miteinbezieht. Auch die anwesende Dr. Anna Stünzi, HSG-Forscherin und Mitglied des Schweizer Think Tanks Foraus, sieht die Schweiz mit der Seele Europas verbunden und in der EU den wichtigsten «like-minded» Partner in der Welt.

Düstere Aussichten für die Demokratisierung Russlands

Mit grosser Spannung wurde auch der Auftritt einer anderen Person am diesjährigen Symposium erwartet. Dicht drängten sich die Besucher:innnen am späten Freitagnachmittag in die Aula der HSG, um einen Blick auf jene Frau zu werfen, die für viele zur neuen Hoffnungsträgerin im Kampf für mehr Demokratie in Russland geworden ist: Julia Nawalnaja, die Ehefrau des kürzlich in russischer Gefangenschaft umgekommenen Kremlkritikers Alexey Nawalny, will «das Erbe ihres Mannes fortführen», wie sie im Podiumsgespräch mit TV-Moderator Ali Aslan versicherte. Nawalnaja will die russische Bevölkerung und die Jugend als «wichtigste Verbündete» gewinnen und sie ermutigen, sich politisch zu engagieren. Dass dies ein steiniger Weg sein wird, sagt indessen Prof. Dr. Ulrich Schmid, HSG-Experte für Osteuropa: «Grundsätzlich kann man sagen, dass es keine handlungsfähige Opposition mehr in Russland gibt. Mehr noch: Es gibt in Russland keine Politik.» Und auch ohne Putin würde das von ihm geschaffene System wohl weiter existieren, denn die gesamte politische und wirtschaftliche Elite habe sich kompromittiert und könne gar nicht aus diesem System ausbrechen, selbst wenn sie es wollen würde. Die Aussichten auf eine Demokratisierung Russlands seien daher düster. «Es wird Jahrzehnte dauern, bis überhaupt erst die Bedingungen gegeben sein werden, dass sich Russland aus diesem pathologischen politischen System befreien kann.» 

Freiheit, Frieden und Demokratie sind also nicht mehr unbedingt der selbstverständliche Normalzustand, wie er es für viele Menschen aus westlichen Ländern lange Zeit zu sein schien. Vielleicht war es dieser Vibe der Demut, der am diesjährigen St. Gallen Symposium in der Luft lag. Vielleicht war es aber auch der Umstand, dass die Organisator:innen dieses Jahr getreu dem Motto auf eine luxuriöse Ausstattung des Anlasses verzichteten. Bemerkbar war dies vor allem beim Essen. Kein ausschweifendes Buffet erwartete die Gäste, sondern einfache vegetarische Kost: Spätzlepfanne, Kartoffelgratin oder Risotto, serviert in bescheidenen Portionen. Bleibt zu hoffen, dass wir in Zukunft nur bezüglich unseres Umgangs mit den natürlichen Ressourcen bescheiden bleiben müssen.

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