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Forschung

Forschungsprojekte des Fachbereichs Osteuropastudien

Zur Zeit werden am Fachbereich verschiedene Projekte in diversen Disziplinen wie Politik-, Medien- und Kulturwissenschaften, Migrationsforschung und Soziologie durchgeführt. Der Forschungsschwerpunkt umfasst alle Länder der Zentral-, Ost- und Südosteuropa.

Prof. Dr. Ulrich Schmid

Ivan Gončarov gehört zu den wenigen Autoren seiner Generation, die eine erfolgreiche und lange Karriere in der zaristischen Bürokratie absolvierten. Er reihte sich als Wirklicher Staatsrat in die viertoberste Dienstkategorie der russischen Bürokratie ein. Er gehörte damit zur absoluten Spitze im Staatsdienst, die nur von 0.7 % der gesamten Beamtenschaft erreicht wurde. Dieser steile Aufstieg ist um so bemerkenswerter als Gončarov von seiner sozialen Herkunft her gar nicht zu einer solchen Stellung prädisponiert war. Diese Tatsache lässt sich etwa am Lebenslauf seines Bruders belegen, der Gymnasiallehrer in der Provinzstadt Simbirsk wurde. Gončarovs Doppelexistenz als Autor und hoher Staatsbeamter bildete im Russland der vierziger und fünfziger Jahre die Ausnahme. Die anderen grossen Romanciers Turgenev, Dostoevskij und Tolstoj übernehmen zwar in jungen Jahren ebenfalls offizielle Funktionen, der Staats- oder Militärdienst bleibt jedoch in ihren Biographien nur eine Episode. Mit anderen Worten: Das literarische Feld in Russland beginnt sich seit etwa 1830 vom Machtfeld zu emanzipieren; die Autoren suchen eine neue professionelle Identität, die ausserhalb der staatlichen Klassifikationsschemata liegt.

The project of a history of Ukrainian literature attempts to reconstruct the ideological, aesthetic and social framework that defined the production and reception of texts in a given time period. This is a clear departure from the plan of a history of Ukrainian literature that is being prepared by the Ukrainian Academy of Sciences. That project relies heavily on literary portraits on the one hand and on descriptions of genre evolution on the other hand. In the plan for this 10 volume work, authors are grouped together in rather abstract time marks like "literature of the 30's to 60's in the 19th century". The academic history purports to follow the principles of "objectivity" and to let its objects "talk for themselves". Such an aim ignores the necessarily narrative nature of any historiographical account and seeks objective truth in a phenomenon that is deeply ambivalent: Each writer seeks to impose his subjective truth on his readers – and to take this textual strategy as an "objective information" amounts to a deep misunderstanding of literary hermeneutics. The ultimate rationale behind such an attitude may be the unwillingness to reconsider or even revise the traditional canon of Ukrainian literature. A first short draft for the planned volume may be found here: „Kleine Geschichte einer grossen Literatur"

PD Dr. Elena Denisova-Schmidt

Das Projekt fokussiert auf zwei Schlüsselbereiche des postsowjetischen Lebens, in denen Korruption oft endemisch ist und in denen Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung am besten untersucht werden können: Unternehmen und Universitäten.

Das Projekt wirft einen Blick hinter die Kulissen russischer Wahlen der vergangenen Jahrzehnte, um die mangelnde Integrität von Wahlen und andere Formen des Fehlverhaltens von innen heraus zu erklären.

Ergänzend zur Theoriebildung sowie zur Erarbeitung und Erprobung innovativer Ansätze zur Korruptionsbekämpfung werden osteuropäische Fälle im globalen Kontext positioniert und besprochen.

Dr. Alexander Meienberger

Dieses Forschungsprojekt untersucht, wie die zeitgenössische russischsprachige Literatur das Stigma im Zusammenhang mit Krankheiten wie HIV, Krebs und Tuberkulose thematisiert und hilft, es zu überwinden. Anhand literarischer Werke und persönlicher Erzählungen wird analysiert, wie das Schreiben zu einem Instrument wird, um gesellschaftliche Tabus zu hinterfragen, Empathie zu fördern und öffentliche Wahrnehmungen dieser Krankheiten zu verändern. Mit dem Fokus auf die transformative Kraft des Erzählens hebt die Studie die Rolle der Literatur beim Abbau von Schweigen und Stigmatisierung in der heutigen Gesellschaft hervor.

Das Dissertationsprojekt zielt drauf ab, die russländische Soft Power am Beispiel der russländischen Stiftung "Russkij mir" und ihrem weitgehenden Netzwerk in Deutschland und Österreich zu untersuchen. Dabei werden nicht nur Instrumente der Aussenpolitik Russlands, aber auch bestehende Strukturen der Stiftung in diesen Ländern analysiert. 

Dr. Oleksandra Tarkhanova

Ein qualitatives, interviewbasiertes Forschungsprojekt, das seit Sommer 2022 in Zusammenarbeit mit Daryna Pyrogova durchgeführt wird. Ziel des Projekts ist es, die Handlungsfähigkeit von Vertriebenen zu erforschen, indem Entscheidungsprozesse und Wahlmöglichkeiten von Vertriebenen nach der russischen Aggression in der Ukraine nachgezeichnet werden. Wir haben 30 Interviews mit Binnenvertriebenen in der Ukraine und mit Menschen, die in verschiedene europäische Länder vertrieben wurden, geführt und ausgewertet. Die Untersuchung zeigt, dass die Handlungsfähigkeit bei der Vertreibung unterschiedliche Formen annimmt, dass der Zeitpunkt und die Bedingungen, unter denen Entscheidungen getroffen werden, für die Wahl der Route von entscheidender Bedeutung sind und dass die konstruierten Rationalitäten hinter diesen Entscheidungen über die Zielorte unerwartet vielfältig sind.

Ein qualitatives und ethnografisches Forschungsprojekt, das seit Sommer 2020 zu den Beziehungen zwischen Staatsbürgern in der Ostukraine durchgeführt wird. Ziel des Projekts ist es, die Interaktionen zwischen Staat und Bürgern in den staatlichen Sozialämtern und an den Grenzübergängen entlang der Frontlinie und in den besetzten Gebieten in der Ostukraine zu untersuchen. Gemeinsam mit Kollegen in der Ukraine führte ich 20 Interviews mit Binnenvertriebenen und Bewohnern der besetzten Gebiete, die regelmäßig die frühere "Kontaktlinie" in der Ostukraine überqueren, sowie 20 Interviews mit staatlichen Wohlfahrtsbeamten in Einrichtungen entlang der "Kontaktlinie" in den von der Regierung kontrollierten Gebieten. Darüber hinaus habe ich im Sommer 2021 ethnografische Beobachtungen von Interaktionen zwischen Staat und Bürgern in Sozialämtern durchgeführt. Die Forschung zeigt die Strategien der Bürgerinnen und Bürger, ihren Status und ihre Position als Vertriebene gegenüber dem Staat auszuhandeln, und die Macht der sozialen Staatsbürgerschaft, die Verbindung zum Staat auch unter der Besatzung aufrechtzuerhalten.

Eine laufende Forschung über die Geschlechterverhältnisse in der Ukraine nach der jahrzehntelangen Neoliberalisierung, der konservativen und emanzipatorischen Politik sowie den jüngsten grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen durch den Krieg und die Massenvertreibung.

Breiteneicher Felix Hans

Dieses intersektionale qualitative Forschungsprojekt analysiert, basierend auf Theorien der kritischen Geopolitik und des Konstruktivismus, sowohl ideell als auch diskursiv das historische geopolitische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland sowie den aktuellen Diskurs über ‘Ostpolitik’ und Eurasien als geostrategischen ‘Großraum’. Die Dissertationsarbeit untersucht dabei die veränderten außenpolitischen Strategien der Bundesregierung gegenüber drei repräsentativen geografischen Fallregionen – Osteuropa, Kaukasus und Zentralasien – mit ihren jeweiligen räumlichen Akteuren seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. Die Ergebnisse sollen so zu einem kohärenteren zeitgenössischen Verständnis der liberal-demokratischen Antwort Europas auf die ‘Eurasische Frage’ beitragen.

Gafarov Orkhan

Das Forschungsprojekt untersucht, wie kleine Staaten der Region unter dem Druck globaler Mächte ihre Eigenständigkeit bewahren können. Im Mittelpunkt stehen Armenien, Aserbaidschan und Georgien, die unterschiedliche historische Entwicklungen, Ressourcen und außenpolitische Strategien aufweisen. Analysiert wird, wie innere Faktoren (Institutionen, Ressourcen, Eliten) mit äußeren Einflüssen (EU, Russland, regionale Allianzen) zusammenwirken. Besonderes Augenmerk gilt der Rolle von Energie- und Infrastrukturprojekten sowie internationalen Organisationen. Ziel ist es, Bedingungen zu identifizieren, unter denen kleine Staaten nicht zu Arenen geopolitischer Rivalitäten werden, sondern als eigenständige Akteure im internationalen System auftreten können.

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