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Forschung - 16.04.2025 - 14:00 

Entwicklungsländer bräuchten viel mehr Geld für den Klimaschutz als zugesagt

Ein grosses Finanzierungsdefizit gefährdet den Klimaschutz: Laut einer Studie, an der die HSG mitgewirkt hat, ist der finanzielle Bedarf für Klimamassnahmen in Entwicklungsländern mindestens doppelt so hoch wie die im Rahmen des Pariser Abkommens zugesagten jährlichen 300 Milliarden US-Dollar.
Quelle: HSG Newsroom

Der Klimawandel trifft Entwicklungsländer besonders hart: Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen nehmen zu, während viele dieser Staaten kaum Mittel für Gegenmassnahmen haben. In internationalen Klimaverhandlungen haben sich wohlhabende Länder deshalb verpflichtet, ärmere Staaten finanziell zu unterstützen. Auf der letzten Klimakonferenz wurde ein neues Ziel vereinbart: Reiche Länder sollen bis spätestens 2035 jährlich 300 Milliarden US-Dollar bereitstellen. Aktuell beläuft sich diese Summe auf etwa 100 Milliarden US-Dollar jährlich, soll sich also bis 2035 verdreifachen. Eine neue Studie unter Mitwirkung der HSG belegt nun, dass der tatsächliche Bedarf mindestens doppelt so hoch ist wie die jährlich angestrebten 300 Milliarden US-Dollar.

Klimapläne von 133 Entwicklungsländern ausgewertet

Ein Forschungsteam der ETH Zürich und der HSG untersuchte die Klimapläne von 133 Entwicklungsländern. Diese sogenannten Nationally Determined Contributions (NDCs) sind ein zentrales Instrument des Pariser Klimaabkommens. Sie enthalten die Selbstverpflichtungen der Länder zur Begrenzung der globalen Erwärmung und werden alle fünf Jahre aktualisiert. Die NDCs umfassen sowohl Massnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen als auch Strategien zur Anpassung an den Klimawandel.

Entwicklungsländer kommunizieren in ihren NDCs auch ihren Finanzierungsbedarf. Ein Teil der Kosten wird selbst getragen, ein anderer Teil soll durch internationale Unterstützung kofinanziert werden. Hintergrund ist, dass vielen Entwicklungsländern nicht nur finanzielle Mittel fehlen. Sie tragen auch eine minimale Verantwortung für den Klimawandel, da ihre Emissionen im Vergleich zu Industrieländern äusserst niedrig sind.
Die Forschenden werteten diese Finanzierungsangaben systematisch aus. Zudem führten sie Gespräche mit Klimaexperten, um die Ergebnisse zu kontextualisieren. Das Fazit: Die Diskrepanz zwischen benötigten und zugesagten Mitteln ist enorm.

Das Ausmass der nötigen Klimamassnahmen wird immer klarer erkennbar

Die Studie zeigt, dass sich Entwicklungsländer zunehmend bewusst sind, wie viel Geld sie für den Klimaschutz benötigen. In den aktualisierten Klimaplänen geben bereits 74 % der Länder konkret ihren Finanzierungsbedarf an – eine deutliche Steigerung gegenüber den ersten Einreichungen. Besonders auffällig: Während der Bedarf für Emissionsminderungen leicht gesunken ist, haben die Kosten für Anpassungsmassnahmen deutlich zugenommen. Zunehmende Unwetter und häufigere Naturkatastrophen verteuern den Schutz von Infrastruktur und Landwirtschaft.

Ein weiteres überraschendes Ergebnis: Während afrikanische Länder sehr detaillierte Finanzierungspläne vorlegen, bleiben viele südamerikanische Staaten vage. Auch zwischen wirtschaftlich ähnlich entwickelten Ländern gibt es grosse Unterschiede: So liefert Südafrika umfassende Berechnungen für einzelne Sektoren, während Indonesien kaum Angaben macht. Das Forschungsteam vermutet verschiedene Faktoren hinter diesen Unterschieden: Die involvierten Behörden, Ministerien und weiteren Akteure bei der Erstellung der Finanzierungspläne, die Verfügbarkeit von Daten und Experten zur Bedarfsermittlung sowie unterschiedliche Verhandlungstaktiken einzelner Länder. In einem Folgeprojekt untersucht das Team diese Unterschiede derzeit genauer.

Weckruf an die Weltgemeinschaft

Bereits die aktuelle Studie stellt laut den Forschenden einen Weckruf dar: «Die Klimafinanzierung muss weiter aufgestockt werden. Dies forderten viele Entwicklungsländer und Vertreter der Zivilgesellschaft bereits auf der letzten Klimakonferenz. Die angestrebten 300 Milliarden US-Dollar jährlich wurden daher von vielen nicht als erfolgreicher Verhandlungsabschluss bewertet», sagt Dr. Anna Stünzi von der HSG, die an der Studie mitwirkte.

Auch die Schweiz stünde in der Pflicht

Zusätzlich zu den zu geringen Beiträgen der Geberländer im Rahmen des Pariser Abkommens kämen noch weitere aktuelle Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit hinzu, betont Anna Stünzi: «Der Kahlschlag bei USAID und beispielsweise die Streichung der US-Beiträge an den Grünen Klimafonds reduzieren die verfügbaren Finanzmittel für den Klimaschutz drastisch.» Aber auch in der Schweiz hat das Parlament kürzlich Budgetkürzungen bei der internationalen Entwicklungszusammenarbeit beschlossen. Obwohl Beiträge zur internationalen Klimafinanzierung hier weiterhin vorgesehen sind, sei zu befürchten, dass die geringere Unterstützung sich auch auf den Klimaschutz und die Resilienz der Entwicklungsländer auswirke, sagt Anna Stünzi und weist darauf hin, dass sich mit der Verdreifachung der internationale Klimafinanzierung eigentlich auch der faire Beitrag der Schweiz um mindestens das Dreifache erhöhen müsste.

Auf der kommenden Klimakonferenz in Brasilien Ende 2025 sind daher erneut schwierige Verhandlungen über die Ausgestaltung der Klimafinanzierung zu erwarten. Systematische Analysen zu den Bedürfnissen und den Geldflüssen, wie sie die aktuelle Studie liefert, können wichtige Grundlagen für diese Diskussionen schaffen.

 

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