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Forschungsprogramm: Open Strategy in Spitälern

Für Spitäler wird es aus einer Vielzahl von Gründen immer wichtiger, sich proaktiv um Voraussetzungen für den eigenen zukünftigen Erfolgzu kümmern. Diese Aufgabe kann heute nicht mehr einfach elitär von der «Spitze» eines Spitals oder hinzugezogenen Beratern wahrgenommen werden, sondern sie erfordert einestarke Mobilisierung der gesamten Organisation (Öffnung von Strategiearbeit). 

Eine breit abgestützte Mobilisierung ist nicht nur zur erfolgreichen Akzeptanzsicherung und wirkungsvollen Implementierung von Neuerungen wichtig. Vielmehr sollen damit verstärkt das Wissen und die kollaborative Erfahrung sämtlicher Health Professionals aktiv ausgeschöpft werden und die Einbezugserwartungen von Mitarbeitenden erfüllt werden. Im Zentrum von organisationaler Innovation stehen damit nicht mehr "nur" innovative medizinisch-pflegerische Behandlungspraktiken von Patientinnen und Patienten, sondern auch neue Formen der Zusammenarbeit und Führungunter Nutzung neuer Infrastrukturen und Technologien, d.h. innovative Praktiken der gemeinschaftlichen Alltagsbewältigung und Zukunftsgestaltung.

Der kurz umschriebene empirische Kontext heutiger Gesundheitsorganisationen bietet gleichermassen theoretisch herausforderungsreiche und praktisch hoch relevante Forschungsopportunitäten, die an die Debatten zu Open Strategy anschliessen. Erste Beobachtungen im Forschungsfeld machen deutlich, dass sich bei der Praxis einer «Open Strategy» verstärkt die Frage nach einer förderlichen «Strategizing Capacity» als Management-Leistung von innen stellt. Strategizing Capacity basiert im Kern auf orchestrierter Reflexivität und Kreativität, auf der strukturierten Ermöglichung von Umwelt- und Selbstbeobachtungsowie der Kreation von Neuem.

Denn intra- und interorganisational Öffnungsprozesse von Strategiearbeit bergen nicht nur Chancen, sondern sie generieren auch hochkomplexe Herausforderungen, die – in die praktizierte Strategiearbeit eingewoben – den simultanen Aufbau spezifischer organisationaler Fähigkeiten erforderlich machen und dabei erst noch die gesamte etablierte Praxis von Führung und Zusammenarbeit in grundlegender Weise auf den Prüfstand stellen. So stellt sich beispielsweise die Frage, welchen Einfluss eine Öffnung der Strategiearbeit auf wirkungsvolle zeiteffiziente Entscheidungsprozesse hat.

 

Die konkreten Forschungsfragen sind jeweils projektspezifisch und werden aktuell im empirischen Feld konkretisiert. Zum aktuellen Stand lassen sich aber bereits einige erste zentrale Themenfelder formulieren, die illustrieren sollen, wie das Forschungsprogramm einen Beitrag zum Forschungsfeld offener und partizipativer Strategieprozesse leisten wird.

  • Ein erstes grosses Thema ist das Spannungsfeld zwischen Inklusion und Entscheidungsfähigkeitim Zeitablauf. Dieses Spannungsfeld hat viel mit der Orchestrierung von Öffnungs- und Schliessungsprozessen zu tun, die sich sowohl auf die Breite des strategischen Themenfokus als auch auf die Breite der Partizipation von Health Executives bezieht.
     
  • Ein zweites Thema ist die Frage, welche Chancen und Herausforderungen sich aus der Verwendung neuer Kommunikations- und Visualisierungstechnologien ergeben, die zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der organisationalen Kommunikation in offenen Strategieprozessen eingesetzt werden können.
     
  • Ein drittes grundlegendes Thema besteht in der Frage, wie neue kommunikative Praktiken aufgebaut werden können. Solche Praktiken können z.B. auf eine Differenzierung der Kommunikation in Beziehungsgestaltung, Prozesssteuerung und inhaltlicher Bearbeitung abzielen, die der Stärkung einer offenen, effizienten und wirkungsvollen Kommunikation und Entscheidungsfindung dienlich ist.
     
  • Ein viertes Thema ist der Einfluss der Governance von Gesundheitsorganisationen, wenn es um den wirkungsvollen Einbezug externer Stakeholder in die Strategiearbeit zur Formierung von Öko-Systemen der Integrierten Versorgung geht.
     
  • Ein fünftes zentrales Thema widmet sich der Frage, wie in partizipativen Strategieprozessen normativeGrundfragenadressiert und mitbearbeitetwerden können, wie ethisch legitime Erfolgsvorstellungen identifiziert und verankert werden können, wie Gerechtigkeitsfragen in den Entlohnungssystemen von Gesundheitsorganisationen adressiert werden können oder wie bei einer drastischen Ressourcen- und Kapazitätsverknappung legitime Selektionskriterien für die Sicherstellung einer guten Patientenversorgung erarbeitet werden können.

Forschungsausrichtung und Beteiligte

Die Forschungsarbeiten von Lea Reich, M.A. HSG und Marc Schärer, M.A. HSG werden in Zusammenarbeit mit Dr. Torsten Schmid, PD Dr. Christian Erk, Prof. Dr. Thomas Schumacher und Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm zu einem innovativen Forschungsprogramm integriert. Hier erfahren Sie mehr über das Team.

Die starke Verankerung in der Practice Theory, in Process Studies und der neueren Systemtheorie bilden für alle beteiligten Forschenden gemeinsame, inspirierende Theoriegrundlagen, um grundlegende Fragen der Open Strategy Debatte in empirisch hoch attraktiven Forschungsfeldern integrativ und innovativ bearbeiten zu können. Das methodische Vorgehen orientiert sich dabei im Grundsatz an Methodologien einer kontextualistischen Prozess- und Practice-Forschung, wie z.B. der Arbeiten von Ann Langley, Martha Feldman, Henry Mintzberg und Andrew Pettigrew. Konkret soll in diesem Projekt bei den empirischen Forschungspartnern mindestens eine «Episode» eines Strategieprozesses in ihrer vollen Länge untersucht werden können.

 

Literatur

Hautz, J., Seidl, D., & Whittington, R. (2017). Open strategy: Dimensions, dilemmas, dynamics. Long Range Planning, 50(3), 298-309

Langley, A. (1999). Strategies for theorizing from process data. Academy of Management Review, 24(4), 691-710

Langley, A. (2009). Studying processes in and around organizations. The Sage Handbook of Organizational Research Methods, 409, 429

Langley, A., Smallman, C., Tsoukas, H., & Van de Ven, A. H. (2013). Process studies of change in organization and management: Unveiling temporality, activity, and flow. Academy of Management Journal, 56(1), 1-13.

Nagel, R./Wimmer, R. (2014): Systemische Strategieentwicklung. Modelle und Instrumente für Berater und Entscheider. 6. aktualisierte und ergänzte Auflage, Stuttgart: Klett-Cotta

Seidl, D., Von Krogh, G., & Whittington, R. (2019). Defining open strategy: Dimensions, practices, impacts, and perspectives. Cambridge Handbook of Open Strategy, 9(26), 9-18

Splitter, V., Jarzabkowski, P., & Seidl, D. (2023). Middle managers' struggle over their subject position in open strategy processes. Journal of Management Studies, 60(7), 1884-1923

Whittington, R. (2019). Opening strategy: Professional Strategists and Practice Change, 1960 to today. Oxford University Press

Whittington, R., Cailluet, L., & Yakis‐Douglas, B. (2011). Opening strategy: Evolution of a precarious profession. British Journal of Management, 22(3), 531-544

Publikationen 2025

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