Hintergrund - 06.05.2022 - 00:00
6. Mai 2022. Der Generationenvertrag und die Frage, was sich Generationen gegenseitig schulden, war Thema eines international besetzten Podiums während des 51. St.Gallen Symposiums an der HSG. Wie können Führungspersönlichkeiten angesichts des demografischen Wandels, der beispiellosen Verschuldung und der Umweltprobleme wieder einen Dialog zwischen den Generationen aufnehmen und die Generationengerechtigkeit fördern?
Christoph Frei, Professor für Politikwissenschaft an der Universität St.Gallen, wies in seiner Rolle als Moderator darauf hin, dass es neben Krieg, Pandemien und anderen schlagzeilenträchtigen Themen des Tages auch andere dringende Fragen gäbe, die bisweilen in Vergessenheit gerieten. Beim Thema Generationenvertrag gehe es im Kern darum, was die Generationen einander geben und was sie voneinander nehmen. «Aber was ist die Verantwortung der einen Generation gegenüber der nächsten?»
Neben Professor Frei standen auch die Co-Präsidentin des Club of Rome, Mamphela Ramphele, und die österreichische Staatssekretärin für Jugend, Claudia Plakolm, auf der Bühne. Der Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union (CDU), Friedrich Merz, beteiligte sich digital an der Diskussion. Bevor er sich den Fragen des Podiums zur generationenübergreifenden Zusammenarbeit zuwandte, wies der Moderator darauf hin, dass es für die meisten, insbesondere Politiker, nicht leicht sei, ihren Versprechungen gegenüber der nächsten Generation auch Taten folgen zu lassen.
Langfristig denken und Rücksicht aufeinander nehmen
Frei wandte sich zunächst an Mamphela Ramphele, eine südafrikanische Aktivistin, Medizinerin und politische Vordenkerin. Ramphele sieht die grösste Herausforderung für die generationenübergreifende Zusammenarbeit in der Kurzsichtigkeit. Diese übermässige Konzentration auf kurzfristige Ergebnisse auf Kosten langfristiger Ergebnisse zeigt sich in der Art und Weise, wie wir übermässig konsumieren und wenig Rücksicht auf die nächsten Generationen nehmen. Dies wirkt sich auch auf die Wirtschaft aus, wo viele die Gewinne und Aktienkurse im Auge behalten, aber vielleicht nicht die allgemeine Gesundheit des Unternehmens.
Sie wies darauf hin, dass die Weisheit ihrer Ahnen auf ein Wertesystem verweise, das immer in die Zukunft blicke. Die Ehrfurcht vor dem Leben und der Natur müsse von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Mamphela Ramphele sagte, sie befürchte, dass wir dieses Glaubenssystem verloren haben, und glaube, dass wir die Bereitschaft haben müssten, unsere Denkweise zu ändern. «Wir müssen auf eine neue Art menschlich werden». Sie zeigte sich davon überzeugt, dass wir unser kurzfristiges Denken in ein langfristiges umwandeln könnten, wenn wir unsere Wertschätzung für jede Generation änderten.
Neue Prioritäten, weniger Konsum und ein neues Rentensystem
Der digital zugeschaltete Podiumsgast Friedrich Merz ist Vorsitzender einer der grössten politischen Parteien in Deutschland und setzt sich für die Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa ein. Auf die Frage nach der Generationengerechtigkeit wies Merz zunächst darauf hin, dass die russische Invasion in der Ukraine der Beginn einer neuen Weltordnung sei. Er erklärte, dass dieser Einmarsch nicht nur ein regionales Ereignis in der Ostukraine sei, sondern ein globales Ereignis, das uns alle betreffen werde. Merz stimmte Mamphela Ramphele zu: «Wir brauchen neue Prioritäten, die sich in den staatlichen Investitionen widerspiegeln müssen. Wir sollten weniger konsumieren und müssen unser Rentensystem umgestalten». In Deutschland wird derzeit ein Viertel des Bundeshaushalts für Renten ausgegeben und nicht für andere Ausgaben, die der nächsten Generation zugutekommen würden, wie Bildung, Nachhaltigkeit und Infrastruktur. Er fuhr fort, dass sich die Prioritäten im Bundeshaushalt ändern müssten.
Österreich: Wenig Generationengerechtigkeit
Die österreichische Staatssekretärin für Jugend, Claudia Plakolm, die im Alter von 22 Jahren zum ersten Mal in das österreichische Parlament gewählt wurde, wies darauf hin, dass die gleichen Herausforderungen, mit denen Deutschland konfrontiert ist, auch für Österreich gelten. Sie wies darauf hin, dass der durchschnittliche Österreicher in den 1970er Jahren sieben Jahre lang in Rente war, während er heute durchschnittlich 22 Jahre lang eine Rente geniesst. Früher ging man davon aus, dass es jeder Generation besser gehen würde als der vorherigen. Diese Annahme scheint nicht mehr zuzutreffen.
«Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras unter ihren Füssen»
In der Diskussion konfrontierte Moderator Christoph Frei Podiumsgast Mamphela Ramphele mit ihrem philosophischen Ansatz zum Generationswechsel und bat sie, konkret auf den Krieg in der Ukraine und den Umgang Afrikas mit den Herausforderungen zwischen den Generationen einzugehen. Als Antwort auf die Ukraine zitierte Ramphele ein afrikanisches Sprichwort: Wenn Elefanten kämpfen, ist es das Gras, das darunter leidet. Sie ist der Ansicht, dass die Ukraine uns alle weltweit betrifft. Dann zitierte sie ihren südafrikanischen Landsmann Desmond Tutu, der sagte: «Wenn ein Elefant seinen Fuss auf dem Schwanz einer Maus hat und du sagst, dass du neutral bist, wird die Maus deine Neutralität nicht zu schätzen wissen.»
Afrika: Junge Bevölkerung, alte Machthaber
Zur nächsten Frage erklärte Ramphele, dass Afrika mit der jüngsten Bevölkerung gesegnet sei, aber die ältesten RegierungsvertreterInnen habe. Nachdem sie ihre Zeit abgesessen hätten, seien die afrikanischen FührerInnen nicht zur Seite getreten und hätten der nächsten Generation das Zepter überlassen. Das Schöne daran, jung zu sein, sei, keine Angst vor Veränderungen zu haben. «Die jüngere Generation ist diejenige, die Wandel herbeiführ. Jede Generation muss ihre Aufgabe finden, um die Zukunft neu zu gestalten.» Sie appellierte an die jungen Menschen, eine menschliche Revolution anzustossen, die darauf abzielt, die Lebenseinstellung zu verändern. «Letztendlich sind wir alle gemeinsam betroffen und verantwortlich für die Zukunft, Jung und Alt.»
Mit Blick auf Merz wies Moderator ChristophFrei darauf hin, dass die deutschen Regierungen häufig der Sparsamkeit Vorrang geben, bevor sie in Fragen wie dem Klimawandel mutig handeln. Merz wies darauf hin, dass sich die deutsche Regierung seiner Meinung nach auf fiskalische Verantwortung und nicht auf Sparsamkeit konzentriere. «Wenn wir diszipliniert sind, haben wir die nötige Flexibilität, um zu manövrieren.»
Demokratische Partizipation in Österreich: Wählen ab 16 Jahren
Zum Abschluss der Diskussion wies Plakolm darauf hin, dass Österreich eines von zwei europäischen Ländern sei, die das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt habe. Dies habe die österreichischen Regierungen dazu veranlasst, die Perspektive der neuen Generation in die Politikgestaltung einzubeziehen. «Bei der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie zum Beispiel wurden viele Abschottungsmassnahmen in erster Linie zum Schutz der älteren Generationen getroffen. Jetzt stellen wir fest, dass diese Massnahmen negative Auswirkungen auf die jüngeren Generationen hatten, wie zum Beispiel Lernferne bei Kindern und Jugendlichen und psychische Erkrankungen», sagte Plakolm. Sie sieht Österreich als Vorreiterin bei der Anerkennung dieser negativen Folgen der Pandemiebekämpfung, mit denen die jüngere Generation jetzt konfrontiert sei.
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