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Leute - 28.05.2018 - 00:00 

«Kein Geliebter kommt mit dem Leben davon»: Zu Ehren Philip Roths

Philip Roth, geboren und aufgewachsen in einem damals jüdischen Stadtteil Newarks, war einer von Amerikas wichtigsten Schriftstellern des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Ob aus der Perspektive des vermeintlich einfachen Beobachters, Kritikers, Bewunderers, Chronisten, Nestbeschmutzers oder Narren, in seiner Prosa schuf Roth eine Spiegelwelt der amerikanischen Widersprüchlichkeit. Nun starb er im Alter von 85 Jahren in New York. Von Claudia Brühwiler.

28. Mai 2018. Drei Jahre nach Erscheinen seines literarischen Débuts, «Goodbye, Columbus» (1959), nahm Philip Roth eine Einladung der jüdischen New Yorker Yeshiva University an, um über sein Wirken als Schriftsteller zu diskutieren. Die erste Frage an ihn zeigte bereits, welch kontroverse Reaktionen sein noch junges Werk hervorrief – und bis an sein Lebensende immer wieder hervorrufen würde: «Herr Roth, würden Sie dieselben Geschichten schreiben, hätten Sie in Nazi-Deutschland gelebt?» Spätestens mit «Portnoys Beschwerden» (1969) wünschten sich zahlreiche jüdische Kritiker, Roth liesse vom Schreiben ab, zumindest vom Schreiben über Juden. Der lustvoll provokative Monolog des Alexander Portnoy, der die Grenzen des Obszönen austestet, würde vierzehn Wochen lang die Bestsellerliste der New York Times dominieren und das Bild des Autors prägen.

 

Ein Frauenhasser oder Antisemit, ein selbsthassender Jude oder überbewerteter Pornograph – die Liste der Vorwürfe an Roth ist beinahe so lang wie jene an Preisen und Anerkennungen. Phasenweise schien Roth damit zu kämpfen, dass Kritiker und Leserschaft nicht zwischen Roth, dem Schriftsteller, seinen Charakteren, und Roth, dem Menschen zu unterscheiden wussten. Zugleich konfrontierte er sein späteres Alter Ego, den Schriftsteller Nathan Zuckerman, mit ähnlichen Kritiken und Auseinandersetzungen, in denen er Heuchlerei und Zynismus gnadenlos, aber mit einem Augenzwinkern offenbarte. Sein Schreiben liess er nie von Konventionen und Anstandserwartungen diktieren – denn, wie es in «Gegenleben» (1989) heisst: «Nettigkeit ist bei Schriftstellern noch tödlicher als bei anderen Menschen.»

Spätestens seine Amerikanische Trilogie – «Amerikanisches Idyll» (1997), «Mein Mann, der Kommunist» (1998) und «Der menschliche Makel» (2000) – machte Roth zu einem der meistbeachteten Autoren seiner Generation, der sowohl menschliche als auch nationale Tragödien zu sezieren und spürbar zu machen verstand. Gerade im deutschsprachigen Raum wurde er zusehends als öffentlicher Intellektueller dargestellt, obschon er selbst stets betonte, «kein Emile Zola» zu sein. Ohnehin wehrte er sich regelmässig gegen die Vorstellung, Literatur könne etwas verändern. So stritt er stets ab, seine Bücher seien mehr denn Fiktion: «Verschwörung gegen Amerika» (2004) führte in ein Amerika während des zweiten Weltkriegs, das den Flugpionier und Antisemiten Charles Lindbergh zum Präsidenten wählte – reine historische Spekulation, kein Kommentar zur Präsidentschaft Bush, wie Roth betonte. Tatsächlich aber konnte auch er sich nicht verkneifen, zur Waffe der politischen Satire zu greifen, als Richard Nixon nach seiner Wiederwahl strebte: «In Unsere Gang» (1971) schickte Roth den ungeliebten Präsidenten auf Wahlkampf durch die Hölle.

In seinem letzten Auftritt im Roman «Exit Ghost» (2007) schien Nathan Zuckerman seinem Schöpfer ein Schritt vorausgewesen zu sein, wenn er meinte: «Ich will keine Meinung zum Ausdruck bringen, ich will mich nicht zu ‘den anstehenden Fragen’ äussern – ich will nicht mal wissen, wie sie lauten. Ich habe kein Interesse daran, etwas zu wissen, und das, woran ich kein Interesse habe, tilge ich aus meinem Leben.» Roth würde noch drei weitere Romane veröffentlichen, aber dann 2012 in einem Interview nebenbei fallenlassen, dass er mit dem Schreiben aufgehört habe. Seine Karriere wurde nie mit dem Nobelpreis gekrönt – ein Umstand, den ihn weniger umtrieb als seine vielen LeserInnen, die Jahr für Jahr auf die erlösenden Worte aus Stockholm warten würden.

 

Anlässlich seines achtzigsten Geburtstags, den er natürlich in Newark feierte, las Roth eine Passage aus «Sabbaths Theater» (1995), einem Roman den ebenso viele als seinen Grossartigsten erachteten wie hassten. Roth selbst hielt ihn für etwas vom Besten, das er je geschrieben hatte: «Unsere geliebte Mutter Minnie. Unser geliebter Mann und Vater Sidney. Geliebte Mutter und Grossmutter Frieda. (…) Und so weiter und so weiter. Kein Geliebter kommt mit dem Leben davon. (…) Und auf meinem: geliebter was? Einfach nur das: geliebter was.» Philip Roth, einer der Grössten Amerikas.

PD Dr. Claudia Franziska ist Privatdozentin in American Studies und unterrichtet im Kontextstudium sowie im Bachelor-Programm International Affairs. Zu ihren Publikationen zählen eine Monographie zu Philip Roths Werk, Political Initiation in the Novels of Philip Roth (Bloomsbury, 2013), sowie die Mitherausgeberschaft von A Political Companion to Philip Roth (mit Lee Trepanier; University Press of Kentucky, 2017).

Photo: Philip Roth; Copyright: Keystone/AP/ Douglas Healey

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