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Forschung - 16.12.2021 - 00:00 

Geldpolitik und ihre Auswirkungen auf soziale Unterschiede

Der Leitzins ist ein wichtiges Mittel, mit dem Zentralbanken Einfluss auf die Wirtschaft nehmen können. Niedrige Leitzinsen führen in der Regel etwa zu mehr Kreditaufnahmen von Unternehmen und dadurch zu mehr Investitionen. Sie können auch zu einem gesteigerten Privatkonsum führen. Dieser Effekt ist aber von Land zu Land und auch innerhalb einer Bevölkerung unterschiedlich. Wie gross diese Unterschiede sind, zeigen Studien, an welchen Forscher der HSG mitgewirkt haben.

16. Dezember 2021. Der Leitzins ist jener Zins, zu welchem die Geschäftsbanken bei der Nationalbank Kredite aufnehmen können. Er bestimmt deshalb massgeblich das allgemeine Zinsniveau in einer Volkswirtschaft. Von diesem hängen wiederum einerseits etwa Zinseinnahmen von Spareinlagen ab, aber auch die Höhe der Hypothekarzinsen. Senkt nun also eine Nationalbank den Leitzins, sind verschiedene Bevölkerungsgruppen in finanzieller Hinsicht und damit potentiell auch betreffend ihres Konsumverhaltens unterschiedlich davon betroffen. «Holzschnittartig ausgedrückt haben etwa Menschen, die eine Hypothek abbezahlen müssen, nach einer Leitzinssenkung mehr Geld für den Privatkonsum zur Verfügung, als jene Menschen mit Spareinlagen, die nun weniger Zins abwerfen», sagt Prof. Dr. Winfried Königer vom Schweizerischen Institut für empirische Wirtschaftsforschung der HSG (SEW-HSG). Natürlich sind die Einflüsse, die das Konsumverhalten mitbestimmen komplex: «Der Sparer könnte natürlich wegen der niedrigen Zinsen auch dazu verleitet sein, mehr zu konsumieren. Wofür er sich schliesslich entscheidet, hängt von weiteren Einflussfaktoren und Vermögenspositionen ab.» Prof. Dr. Winfried Königer hat mit seinem Forscherkollegen Thomas Hintermaier von der Universität Bonn diese komplexen Einflüsse auf das Konsumverhalten zusammen mit Daten über die Vermögensstrukturen der privaten Haushalte Frankreichs, Deutschlands, Spaniens und Italiens in einem Modell abgebildet. Mit dessen Hilfe konnten die Forscher die Auswirkungen von überraschenden Leitzinsänderungen auf den Privatkonsum dieser Länder und der jeweiligen Bevölkerungsgruppen simulieren.

Unterschiedlich starke Auswirkungen auf den Immobilienmarkt

Die Übertragung der Geldpolitik auf den gesamten Privatkonsum einer Volkswirtschaft hängt, wie bereits angedeutet, auch davon ab, wie viele Menschen ein Haus besitzen und ob deren Hypothekarzinsen von Leitzinsänderungen unmittelbar betroffen sind. Prof. Dr. Winfried Königer hat deshalb zusammen mit Benedikt Lennartz vom SEW-HSG und Marc-Antoine Ramelet von der Schweizerischen Nationalbank in einer anderen Studie empirisch untersucht, wie stark sich Leitzinssenkungen in Deutschland, Italien und der Schweiz auf den Immobilienmarkt auswirken. Sie fanden heraus, dass sich etwa in der Schweiz überraschende Leitzinssenkungen von 0.5% auf 0.25% stärker in tieferen Hypothekarzinsen niederschlagen als in den beiden anderen Ländern. Wie sich empirisch zeigte, erhöhte dies in der Schweiz gegenüber den anderen Ländern auch die Wahrscheinlichkeit, dass MieterInnen zu WohneigentümerInnen wurden.

Geringerer Konsum-Effekt in Deutschland

Das Modell zur Konsumantwort zeigt, dass in Ländern mit einer Vermögensstruktur wie Spanien und Italien ein Jahr nach einer Leitzinssenkung von 0.5% auf 0.25% ein grösserer Mehrkonsum (je +0.43%) zu beobachten ist als in Frankreich (+0.38%) oder Deutschland (+0.34%). «Das sind erhebliche Unterschiede in den Konsumantworten», ordnet Prof. Dr. Winfried Königer ein. Die Unterschiede können von verschiedenen Faktoren herrühren. Auffällig ist aber beim Vergleich der Vermögensverhältnisse der verschiedenen Länder, dass Spanien und Italien viel mehr HauseigentümerInnen aufweisen.

Wohlhabende erhöhen ihren Konsum stärker

Auch innerhalb einer Bevölkerung fallen die Konsumantworten sehr unterschiedlich aus. In Deutschland hat etwa die Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen (+0.20%) den geringsten Konsumzuwachs nach einer überraschenden Leitzinssenkung während die 65 bis 74-Jährigen den höchsten haben (+0.54%). Der Konsum der Vermögendsten 25 Prozent der Deutschen reagiert ungefähr doppelt so stark wie der Konsum im Quartil mit dem geringsten Vermögen. Auch hier sind in den beiden Gruppen mit höherem Konsum mehr HauseigentümerInnen zu finden. Für die Schweiz lässt sich keine Aussage diesbezüglich treffen, weil hier keine anonymisierten Daten über die detaillierten Vermögensverhältnisse der Haushalte öffentlich verfügbar sind.

Zusammengefasst zeigen die Studien, dass die Geldpolitik etwa der Europäischen Zentralbank in den Ländern ihres Einflussbereiches aber auch in der Bevölkerung innerhalb eines Landes unterschiedliche Auswirkungen hat. Prof. Dr. Winfried Königer: «Eine Zentralbank sollte laut ihrem Mandat bei ihren Entscheidungen natürlich nicht auf soziale Verteilungsfragen Rücksicht nehmen. Ihre Entscheide haben diesbezüglich aber klare Auswirkungen, die bei entsprechendem gesellschaftlichen Willen über die Fiskalpolitik adressiert werden könnten.»

Links zur Studie über die Auswirkungen der Geldpolitik auf den Immobilienmarkt
Link zur Zusammenfassung der Studie über die Auswirkungen der Geldpolitik auf den Immobilienmarkt
Link zur Studie über die Auswirkungen der Geldpolitik auf den Privatkonsum

Bild: Adobe Stock / whyframeshot

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