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Forschung - 19.06.2020 - 00:00 

Neues Forschungsmodell untersucht Steuerwettbewerb in der Schweiz

Beatrix Eugster befasst sich in ihrem 2019 im «Journal of Political Economy» erschienenen Aufsatz «Culture and Taxes» mit dem Steuerwettbewerb in der Schweiz. Die HSG-Ökonomin untersucht die Frage, ob dieser die politischen Präferenzen beeinflussen oder gar aushebeln kann.

19. Juni 2020. Die Assistenzprofessorin am «Center for Disability and Integration» der Universität St.Gallen verfasste die Arbeit in Co-Autorschaft mit Raphaël Parchet von der Università della Svizzera italiana. Der Artikel wurde mit dem Nachwuchspreis für herausragende wissenschaftliche Aufsätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet.

Steuerwettbewerb relativiert den Einfluss kulturell bedingter Steuersätze
Die beiden Forschenden verglichen mit einer neuen empirischen Strategie Gemeinden in unmittelbarer Nähe zur deutsch-französischen Sprachgrenze. Ihre Arbeit zeigt, dass Kultur einen Einfluss auf die Höhe der Steuern hat, dass aber der Druck des Steuerwettbewerbs diese kulturellen Unterschiede über die Sprachgrenze hinweg verringert.

Beschäftigung, Fertilität oder auch politische Institutionen können durch kulturelle Unterschiede beeinflusst werden. Die Forschungsarbeit zeigt, dass kulturelle Unterschiede auch die Präferenzen für Umverteilungsmassnahmen und die Menge an öffentlich bereitgestellten Gütern beeinflussen. Die deutsch-französische Sprachgrenze der Schweiz, auch Röstigraben genannt, teilt die Bevölkerung in zwei kulturell unterschiedlich geprägte Bevölkerungsgruppen. Beatrix Eugster und Raphaël Parchet haben deshalb Daten innerhalb der drei bilingualen Kantone Freiburg, Bern, und Wallis untersucht. Eine weitere Schweizer Besonderheit, nämlich dass Gemeinden über ihre eigenen Steuersätze bestimmen können, erlaubte zu zeigen, dass sich die stark unterschiedlichen Präferenzen direkt an der Sprachgrenze nicht in unterschiedlichen Steuersätzen widerspiegeln.

Die Forschenden verglichen empirisch Gemeinden in unmittelbarer Nähe zur deutsch-französischen Sprachgrenze in der Schweiz. Dabei fanden sie heraus, dass sich die kulturell gewünschten Steuerunterschiede an der Sprachgrenze nicht manifestieren können, weil der Steuerwettbewerb die französischsprachigen Gemeinden zu einer Senkung der Steuern treibt. Diese quasi-experimentelle Identifikation der Existenz von Steuerwettbewerb ist in der ökonomischen Literatur bisher einzigartig.

Neuartiges Forschungsmodell
Ein theoretisches Modell vervollständigte die empirische Analyse. In diesem Modell werden die Steuern durch Mehrheitsentscheid der Bevölkerung gesetzt. Das Neuartige an dem Modell ist, dass die Einwohner beim Festlegen des Steuersatzes in Betracht ziehen, was für Auswirkungen die Höhe des Steuersatzes auf die Ansiedlung von vermögenden Einwohnern und somit auf den Steuerertrag und die Höhe der Steuern im nächsten Jahr haben wird. Technisch ausgedrückt führten die Forschenden einen «endogenen Medianwähler» in ein klassisches Modell des Steuerwettbewerbs ein. Damit verbanden sie zwei bisher getrennt verlaufende Forschungsrichtungen, nämlich Modelle zur strategischen Besteuerung von Kapital (mit perfekter Mobilität) und Modelle zu Income Sorting (ohne strategische Einwohner). Das Modell zeigte, dass Steuerwettbewerb ausgeprägt sein kann, obwohl die Daten kaum Mobilität der Einwohner zeigen. Die hypothetische Gefahr, dass vermögende Einwohner die Gemeinde verlassen, reicht aus, um die Steuerunterschiede zwischen deutsch- und französischsprachigen Gemeinden an der Sprachgrenze auszugleichen.

Steuerwettbewerb und «Income Sorting»
Der Artikel von Beatrix Eugster und Raphaël Parchet beinhaltet mehrere Beiträge zur ökonomischen Literatur. Erstens fügt er sich in die Literatur über die Effekte von Kultur auf ökonomische Variablen ein. So zeigt er, dass Kultur einen Einfluss auf die Höhe der Steuern hat, dass aber der Druck des Steuerwettbewerbs diese kulturellen Unterschiede verringert. Zweitens verbindet der Artikel die bisher getrennt verlaufenden Richtungen der Literatur zu Modellen von Steuerwettbewerb und «Income Sorting». Und drittens gehört der Artikel zu den ersten, welcher mit einer glaubwürdigen quasi-experimentellen Identifikationsstrategie die Existenz von Steuerwettbewerb empirisch zeigt.

Fachübergreifende Erkenntnisse

Die Ergebnisse sind auch bedeutend für andere sozialwissenschaftliche Disziplinen. Das theoretische Modell hat Bedeutung für die Politikwissenschaften, indem es bestehende Medianwähler-Modelle erweitert und explizit die Mobilität der Wähler zulässt. Politiker sollten deshalb bei ihren Handlungen nicht nur ihre bestehende Wählerschaft berücksichtigen, sondern auch in Betracht ziehen, wie sich diese durch Mobilität verändern kann. Weiter verbindet sich der Artikel mit den Kulturwissenschaften, indem er zeigt, dass kulturelle Einflüsse und Präferenzen sich in einem System mit Wettbewerb unter Gemeinden nur begrenzt entfalten können.

Nachwuchspreis der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften
Für den Aufsatz wurde die Ökonomin Beatrix Eugster mit dem Nachwuchspreis für herausragende wissenschaftliche Aufsätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet (Silber). Die Jury bewertete den Artikel als «demokratietheoretisch wichtigen Beitrag zur Kontroverse um eine nachhaltige Ausgestaltung von Steuersystemen».

Weitere Auszeichnungen erhielten der Anthropologe Emanuel Schaeublin (Gold, Universität Zürich und ETH Zürich) und der Psychologe Hippolyte Gros (Bronze, Universität Genf). Die Texte der Prämierten befassen sich anhand exemplarischer Studien mit grossen Fragen des wissenschaftlichen Forschens und des menschlichen Zusammenlebens.

Foto: Pixabay/nattanan23

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