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Campus - 14.11.2019 - 00:00 

Special Needs – Ein Studium mit besonderen Herausforderungen

Tag für Tag begegnen uns Herausforderungen im Studium. Doch selten stellen wir uns die Frage: Wie ist es, ein Studium mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit zu meistern? Studentenreporter Sascha Duric ist der Frage nachgegangen.

14. November 2019. Derzeit studieren an der Universität St.Gallen schätzungsweise 250 bis 300 Personen, die mit einer Behinderung und/oder einer chronischen Krankheit leben und in irgendeiner Form mit der Beratungsstelle Special Needs in Kontakt getreten sind. Nur ein geringer Prozentsatz dieser Studierenden nimmt nachteilsausgleichende Massnahmen in Anspruch. Wie man den Universitätsalltag mit einer Beeinträchtigung meistert, erzählt Maria* im Interview.

Maria*, wie wirkt sich Deine Beeinträchtigung im universitären Umfeld aus?

Zuerst einmal zu meinen Diagnosen: ich habe einige tolle Bescheinigungen von Hochbegabung über Autismus-Spektrum (Asperger) über eine ehemalige Zwangsneurose bzgl. Ordnung bis hin zu ADS. Allgemein sind Stärken und Schwächen über alle Menschen hinweg unterschiedlich verteilt und jeder ist auf seine eigene Art «eigen». Bei mir sind einfach manche Stärken recht stark, zum Beispiel analytisches und logisches Denken, dafür fallen mir soziale Situationen teilweise recht schwer. Menschen sind mir grundsätzlich fremd. Ich fühle mich oft wie Sheldon in der Serie Big Bang Theory, der sich als Mr. Spock verkleidet, um es auf einem Mittelalterfestival auszuhalten. Auch wenn ich Veränderungen als wirklich unangenehm empfinde, versuche ich ständig, mich anzupassen und zu lernen.

Gerade der Wechsel zwischen Schule und Universität ist mir äusserst schwer gefallen. Die sozialen Situationen ändern sich stetig, das Narrativ der Mehrheit der Studierenden ist sehr unterschiedlich. Ich kann das von einer Art Aussenperspektive betrachten und dementsprechend reagieren. Neu im Bachelor habe ich mich zunächst sehr unwohl gefühlt, die Universität kam mir kalt vor, sehr leistungsbezogen und oberflächlich im Vergleich zu meiner vorherigen Schule. Um möglichst schnell Struktur, Routine und Ordnung zu finden – drei Dinge, durch die ich mich wohlfühle – beschloss ich erst, mich anzupassen. Um mich wohlzufühlen, brauche ich überdies Sicherheit, Routine und Beständigkeit. Ich muss eine Situation einschätzen können, dann fühle ich mich wohl. Geholfen hat mir dabei, mich immer an denselben Platz in den Vorlesungen zu setzen und mir in jeder Vorlesung eine Person zu suchen, die ich mag.

 

 

 

 

Alles ist möglich, wenn man es tatsächlich will.

 

 

 

 

 

Maria*

 

 

 

 

Welche Erfahrungen hast Du mit Deiner Beeinträchtigung an der Universität erlebt?

Grundsätzlich würde ich sagen, alles ist möglich, wenn man es tatsächlich will. Für mich persönlich war es ein langer Weg, Dinge, die mir schwerfallen, anzusprechen und mir Hilfe zu suchen. Zuerst wandte ich mich an die psychologische Beratungsstelle der Universität, fühlte mich dort jedoch nicht ganz verstanden. Sogar bis jetzt verliere ich in jeder Lernphase komplett meinen Lebenswillen. Gerade im Assessment ist man über Wochen eingesperrt in seinem eigenen Kopf, mit sehr viel Druck, immer mehr Wissen hineinzupressen und Mitstudierende, die keine Schwäche zeigen. Andere Studierende können wahrscheinlich gleich anfangen, zu lernen. Ich muss vor einer Lernphase erstmal daran arbeiten, die Prüfungen und das Leben, dass mit deren Bestehen verbunden ist, zu wollen. Geholfen haben mir dabei starke Geschichten wie die Tribute von Panem. Lange fühlte ich mich wie Dumbledore in Harry Potter und der Halbblutprinz, der nichts mehr von der Flüssigkeit trinken wollte, die ihm unsagbare Schmerzen bereitete, und doch gezwungen wurde immer weiter zu trinken.

Meine Diagnose der «Hochbegabung» habe ich relativ früh bekommen. Dabei wurde mir immer wieder gesagt, ich könnte alles erreichen was ich wollte, ich musste mich nur genug dafür anstrengen. Was ich erst lernen musste, ist, dass es auch in Ordnung ist, sich Pausen zu gönnen, nicht die beste Leistung zu erzielen, es auch schwer zu haben. Dinge, für die ich mich interessiere, lerne ich extrem schnell. Dafür muss ich mich sehr zwingen, all das zu lernen, was mir sinnlos oder uninteressant scheint.

 

 

 

 

Ich möchte anderen das Gefühl geben, nicht allein zu sein.

 

 

 

 

 

Maria*

 

 

 

 

Wie und mit welchen Massnahmen hilft Dir die Beratungsstelle Special Needs das Studium zu meistern?

Die Beratungsstelle Special Needs habe ich als sehr engagiert und verständnisvoll erlebt. Ich habe das Gefühl, sie versuchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, mich in der Bewältigung des Studiums so gut wie möglich zu unterstützen. Beispielsweise reagiere ich hypersensibel auf Geräusche, was mir das Schreiben an Prüfungen sehr erschwert hat. Diesbezüglich darf ich nun zu Prüfungen einen Baustellenkopfhörer verwenden. Falls jemand eine Idee hat, wie man ein Problem lösen könnte, wird es geprüft und möglichst gut umgesetzt, auch wenn es diese Lösung vorher so noch nicht gab. In diesem Jahr finden neu auch Workshops für Studierende mit Beeinträchtigungen oder ich würde uns eher als Studierende mit einer etwas stärkeren Verteilung von Stärken und Schwächen bezeichnen statt. Auch wenn ein Gruppentreffen von Menschen auf dem Autismus Spektrum erstmal kontrovers erscheint, freue ich mich über den Austausch mit anderen Studierenden, die die Special Needs-Beratungsstelle in irgendeiner Art und Weise brauchen. Ich suche und möchte auch gern anderen das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein.

Wie gehen andere Studierende und Dein soziales Umfeld mit Deiner Beeinträchtigung um?

Ich bin sehr froh, dass ich ein Umfeld gefunden habe, in dem ich akzeptiert werde, so wie ich bin. Beispielsweise ist es mir einfach nicht wichtig, Freunde über WhatsApp zu fragen «wie es ihnen geht». Solche Kommunikation empfinde ich als extrem sinnlos und anstrengend. Wir treffen uns, wahrscheinlich seltener als es bei anderen Menschen der Fall ist, haben uns dann allerdings einiges zu erzählen. Ich bin sehr froh darüber, dass meine Freunde das nicht als Geringschätzung empfinden, denn das ist es ja tatsächlich nicht. Ich weiss, dass mir manche Dinge sehr gut tun, beispielsweise ins Fitnessstudio zu gehen, wenn ich eine starke depressive Phase habe. Meist komme ich da allerdings selbst nicht drauf, sondern meine Freunde schleppen mich einfach mit ins Fitnessstudio und schon geht es mir besser. Das hat die Dauer meiner schwer depressiven Phasen stark verkürzt.

Am liebsten würde ich gar nicht in Vorlesungen gehen, diese sozialen Situationen sind mir unangenehm. Falls ich tatsächlich nicht gehe, bekomme ich die Notizen einer Freundin. Die Herausforderung liegt für mich darin, mich auch für Themen zu motivieren, die mich ansonsten nicht interessieren und mich nicht von dem Narrativ der HSG beeindrucken zu lassen. Meine Stärken und Schwächen sind zwar etwas anders verteilt als bei anderen Personen, aber das ist okay so. Ich versuche, das Beste daraus zu machen, mir Hilfe zu suchen und diese auch anzunehmen. Dann ist das Studium aus meiner Sicht, trotz besonderer Herausforderungen, möglich.

*Name geändert

Ziel der Universität St.Gallen ist es, sämtlichen Studierenden ein chancengleiches Studium zu ermöglichen. Special Needs berät und unterstützt Studierende, Doktorierende und Mitarbeitende der Universität St.Gallen, die mit Behinderung, und /oder chronischer Erkrankung leben oder spezielle gesundheitliche Bedürfnisse haben, die z.B. im Zusammenhang mit psychosozialen Belastungen stehen.

Sascha Duric ist Konversationskursleiter für Schweizerdeutsch sowie für Bosnisch, Kroatisch, Montenegrinisch und Serbisch (BKMS) am Sprachenzentrum der Universität St.Gallen und studiert Rechtswissenschaften im Master-Programm.

Bild: Adobe Stock / aerogondo




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