Forschung - 06.06.2024 - 12:00
Ist Daytrading (auf Deutsch: «Tageshandel») eine langfristig konsistente und unkorrelierte Einkommensquelle für Händler und Investoren? Dieser Frage gingen Andrea Barbon, Carlo Zarattini und Andrew Aziz in ihrer Studie nach. Sie untersuchten anhand eines umfangreichen Datensatzes von mehr als 7000 US-Aktien, die zwischen 2016 und 2023 gehandelt wurden, wie effektiv Daytrading konsistente und unkorrelierte Renditen erzielt. Ihres Wissens nach handelt es sich bei ihrem Projekt um die erste veröffentlichte Arbeit zu diesem Thema, die eine umfassende Datenbank von Aktienkursen mit einer Intraday-Frequenz verwendet. Wir haben mit Professor Andrea Barbon gesprochen, um mehr darüber zu erfahren.
Andrea Barbon, was hat Sie dazu bewogensich mit dem Thema Daytrading zu beschäftigen?
Meine Forschungspartner und ich sind schon seit einiger Zeit fasziniert von den jüngsten Entwicklungen des Daytradings. Dabei handelt es sich um eine dynamische Form des Investierens, bei der Einzelpersonen Wertpapiere innerhalb eines Tages kaufen und verkaufen. Da immer mehr Menschen ihre Zeit und ihre Fähigkeiten in den Handel investieren, wollten wir herausfinden, ob der Trend zum Daytrading eine Möglichkeit sein könnte, schnell reich zu werden, ohne einer traditionellen Karriere zu folgen. Unser Ziel war es herauszufinden, ob es einfache Daytrading-Strategien gibt, mit denen man dauerhaft Gewinne erzielen kann.
Darüber hinaus stellten wir einen Mangel an akademischer Forschung zu Intraday-Investment-Strategien an den US-Aktienmärkten fest und wollten dieses Thema näher untersuchen.
Mit welchen Ansätzen haben Sie das Thema erforscht?
Mein Forschungsinteresse gilt der Technologie und der Datenwissenschaft, die auf Finanzmärkte angewandt werden, darunter auch der Blockchain-Technologie und der Modelle der künstlichen Intelligenz für die Preisbildung von Vermögenswerten.
Wir haben mit der Untersuchung einer beliebten Daytrading-Strategie begonnen, die in den 1990er Jahren von Toby Crabel eingeführt wurde und als «Opening Range Breakout (ORB)»-Strategie bekannt ist. Bei der ORB-Strategie werden Positionen auf der Grundlage der Preisspanne eingegangen, die in den ersten 5 bis 60 Minuten des Tageshandels ermittelt wird. Unser Ziel war es zu untersuchen, ob diese Strategie aktiven Daytradern immer noch einen ökonomisch signifikanten Handelsvorteil bietet.
Was haben Sie herausgefunden?
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Strategie nach wie vor einen Handelsvorteil verspricht, aber der Schlüssel darin liegt, sich nur auf die Aktien zu konzentrieren, die «im Spiel» sind, d.h. auf Aktien mit einer signifikanten Intraday-Handelsaktivität. Dies sind häufig Aktien, bei welchen eine Marktreaktion auf News zum Weltgeschehen zu beobachten ist. Auf diese Weise haben wir eine Strategie entwickelt, die statistisch und ökonomisch signifikante Renditen erzielt.
Was hat Sie überrascht?
Wir waren angenehm überrascht über unsere ersten positiven Ergebnisse, vor allem, da sich die Strategie so einfach umsetzen liess. Das war unerwartet und ermutigt uns zu weiteren Untersuchungen.
Ist das eine gute Nachricht für diejenigen, die regelmässig Daytrading betreiben wollen?
Es ist wichtig zu wissen, ob Daytrading eine sinnvolle Einkommensquelle oder ob es verschwendeteArbeitszeit ist. Unsere ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Daytrading zwar Potenzial hat, es aber für den Durchschnittsbürger schwierig ist, es als primäre Einkommensquelle zu nutzen. Dies zu verstehen kann der Gesellschaft helfen, Zeit und Ressourcen besser einzuteilen.
Worauf werden Sie sich als nächstes konzentrieren?
In unserer künftigen Forschung werden wir die Rentabilität anderer beliebter Daytrading-Strategien testen und vertieft die technische Analyse untersuchen. In Zusammenarbeit mit Concretum Research entwickeln wir ein einzigartiges Tool namens R-Candles, das als kostenlose Webanwendung unter r-candles.com verfügbar ist. Mit diesem Handelssimulator können Nutzerinnen und Nutzer Handelsstrategien anhand von Zufallsereignissen aus einer grossen Anzahl von Aktien über einen längeren Zeitraum testen, ohne die Namen der Aktien oder die Daten der Ereignisse zu kennen. Durch die ausschliessliche Analyse der täglichen Kursbewegungen (in der Regel in Form von Candlesticks, einer grafischen Darstellung der Preisspanne, in der eine Aktie an einem Tag gehandelt wurde) können die Nutzer Long- und Short-Trades simulieren und gleichzeitig offene Positionen durch Hinzufügen von Gewinnzielen und Stop-Losses verwalten.
Das Portal R-Candles hat es bereits mehr als 1000 aktive Nutzer. Dies, obwohl es sich erst seit drei Monaten in der Beta-Phase befindet und . Es bietet derzeit nur tägliche Kursdatenbietet, was für den Tageshandel nicht ideal ist. Wir arbeiten nun daran, das Tool um Intraday-Daten zu erweitern, um noch mehr Nutzerinnen und Nutzer zu gewinnen, die das Daytrading erkunden, das Potenzial dahinter verstehen und ihre eigenen Fähigkeiten ohne finanzielles Risiko verbessern können.
Aus akademischer Sicht können wir, sobald wir eine umfangreiche Nutzerdatenbank und deren Leistungsdaten gesammelt haben, Hypothesen über Daytrading und die technische Analyse testen und so unser wissenschaftliches Verständnis dieser Phänomene verbessern.
Andrea Barbon ist Assistenzprofessor am Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen an der Universität St.Gallen. Seine Forschung konzentriert sich auf die Auswirkungen von Nachfrageschocks auf die Preise von Vermögenswerten, die durch Notverkäufe institutioneller Anleger und quantitative Lockerungsprogramme verursacht werden. Darüber hinaus interessiert er sich für die Anwendung neuer Modelle des maschinellen Lernens im Zusammenhang mit der Preisbildung von Vermögenswerten.
Image: Adobe Stock / Xavier Lorenzo