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Forschung - 28.08.2025 - 12:00 

Wie Evakuierungen in Kriegsgebieten besser gelingen

In Kriegszeiten können Regierungen Leben retten, indem sie gefährdete Zivilpersonen rechtzeitig evakuieren. Doch oft zögern Betroffene, ihre Häuser zu verlassen. Verhaltensökonom Matthias Weber hat gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam untersucht, wie Evakuierungen besser gelingen können – basierend auf Daten aus der laufenden russischen Invasion in der Ukraine.

Evakuierungen sind für das Überleben von Zivilpersonen während militärischer Angriffe von zentraler Bedeutung. In der Ukraine setzt die Regierung auch auf Warnmeldungen über Mobiltelefone. Ob diese tatsächlich wirken, wurde bislang kaum wissenschaftlich untersucht. Die vorliegende Studie (von der eine erste Fassung bereits Ende 2022 erschien) liefert erstmals kausale Evidenz, wie Evakuierungswarnungen das Verhalten der Bevölkerung beeinflussen.  

Mittlerweile ist die Untersuchung abgeschlossen und unter dem Titel «Civilian Evacuation During War: Evidence from Ukraine» veröffentlicht worden. Die Resultate der Studie flossen bereits in die Arbeit ukrainischer Behörden ein, die für Evakuierungen zuständig sind.  

Im Juli 2022 führten die Forschenden in der Ukraine eine Befragung durch. Dabei testeten sie zwei Ansätze: Erstens Perspektivierung – also Warnmeldungen mit unterschiedlicher Wortwahl und Betonung möglicher Risiken. Zweitens konkrete Evakuierungspläne mit klaren Anweisungen sowie Angaben zu Transport und Routen. So konnten sie prüfen, wie die beiden Ansätze wirken, und die Ergebnisse mit den tatsächlichen Evakuierungsentscheidungen in den ersten Kriegsmonaten vergleichen.

Kernerkenntnisse

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Überblick:    

  • Ein klarer Plan überzeugt.
    Wenn Warnmeldungen konkrete Informationen zu Transport, Routen und Vorgehen enthielten, wurden sie rund 5 % effektiver eingeschätzt.
  • Wortwahl hat kaum Wirkung.
    Ob die Warnhinweise unterschiedliche Konsequenzen des Verbleibens in der Gefahrenzone aufzeigten (wie Lebensgefahr oder eine Verschlechterung der Lebensbedingungen) hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die Effektivität der Warnmeldungen.
  • Evakuierungsmöglichkeiten sind entscheidend.  
    Wer von Nachbarn, lokalen Behörden oder Militär Transportangebote erhielt, war deutlich eher bereit, zu gehen.  
  • Eigene Vorbereitung stärkt die Bereitschaft.
    Personen, die sich schon vorab einen Evakuierungsplan zurechtgelegt hatten, evakuierten häufiger als andere.  

«Eine Welt ohne Kriege scheint utopisch. Unsere Ergebnisse können jedoch helfen, durch gezieltere Evakuierungsinformationen Leben zu retten – in der Ukraine wie auch in anderen Konfliktregionen», sagt Studienautor Matthias Weber.  

Politische Empfehlungen

Aus den Resultaten leitet das Forschungsteam mehrere Empfehlungen ab:  

  • Klare Handlungsanweisungen geben.  
    Entscheidend sind praktische Angaben zu Zielorten, Transport und verfügbaren Ressourcen – weniger die Formulierung.
  • Transport organisieren und kommunizieren.  
    Kostenlose Busse oder Sammeltransporte zeigen, dass Pläne durchdacht sind, und steigern die Bereitschaft zur Evakuierung.
  • Haushalte zu eigener Planung ermutigen.  
    Vorbereitete Notfallpläne und gepackte Taschen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Familien im Ernstfall wirklich fliehen.
  • Besonders gefährdete Gruppen gezielt ansprechen.  
    Besonders Menschen ohne eigenes Transportmittel, einkommensschwache Haushalte oder Frauen mit Kindern sollten gezielt informiert werden. 

Die Forschung zeigt: Mit Warnungen allein lassen sich manche Menschen in Kriegsgebieten nicht bewegen. Die Risiken scheinen ihnen bewusst zu sein – was oft fehlt, sind konkrete Mittel und Möglichkeiten zur Evakuierung.  

Wirkung in der Praxis

Schon nach den ersten Ergebnissen fanden die Erkenntnisse Anwendung in der Region Donezk, die damals stark unter Beschuss stand. Zwei Mitautoren stellten die Resultate dort Vertretern der Regionalverwaltung, Freiwilligen sowie der nationalen Polizeieinheit «White Angels» vor, die Evakuierungen durchführt.  

Die Konsequenz: Es wurde begonnen, den Evakuierungsprozess detaillierter zu kommunizieren – etwa den Standort und die Qualität der Unterkünfte sowie die finanzielle Unterstützung für Evakuierte. Laut Rückmeldungen liessen sich damit auch Familien mit Kindern überzeugen, die zuvor strikt abgelehnt hatten, ihre Häuser zu verlassen.  


Die Studie «Civilian Evacuation During War: Evidence from Ukraine» wurde durchgeführt von Matthias Weber, Associate Professor an der School of Finance der Universität St.Gallen, gemeinsam mit Seung-Keun Martinez (University of Nottingham), Monika Pompeo (Kyiv School of Economics), Roman Sheremeta (Case Western Reserve University), Volodymyr Vakhitov und Nataliia Zaika (beide American University, Kyiv). Publiziert wurde die Studie im «Economic Journal».


Bild: Adobe Stock / Halfpoint

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