Forschung - 29.07.2024 - 09:00
Die Anzahl der Werbebotschaften, denen urbane Menschen tagtäglich ausgesetzt sind, dürfte vier- bis fünfstellig sein. Egal ob auf dem Arbeitsweg oder in der Freizeit, beim Konsum von elektronischen oder gedruckten Medien: überall begegnet man Werbung. So steigen auch die jährlichen Werbeausgaben weltweit seit Jahren und dürfen schon bald eine Billion US-Dollar übersteigen. Dass in einem solche Geschäft kaum etwas dem Zufall überlassen wird, liegt auf der Hand. Forschende des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement (MCM-HSG) and der Universität St.Gallen (HSG) haben untersucht, welche Rolle Texte bei der Interpretation von Werbebotschaften spielen. Dabei unterscheiden sie vier Strategien, um die von Werbetreibenden gewünschte Interpretation zu fördern. Ihre Ergebnisse haben Sie kürzlich im renommierten Fachjournal «Communication Theory» publiziert.
Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein Werbetext dazu beiträgt, dass die Zielgruppe eine Werbebotschaft in der beabsichtigten Weise versteht, können laut Dr. Fabienne Bünzli und Prof. Dr. Martin Eppler vier verbale Strategien oder Anker unterschieden werden. Diese lassen sich danach abgrenzen, wie viel (oder wenig) Interpretationsspielraum offengelassen wird. Beim «Typification Anchor» bietet der Text kaum Zusatzinformationen wie Details über das Produkt oder die Dienstleistung. Die Werbebotschaft stützt sich in erster Linie auf Markennamen oder Slogans, um eine Bedeutung zu signalisieren. Zu beobachten ist dies häufig bei Luxus- und Modemarken mit hohem Bekanntheitsgrad. Anders beim «Description Anchor», wo detaillierte Informationen über abgebildete Produkte, Personen, Objekte, Handlungen oder Orte beschrieben werden. Dies geschieht häufig mithilfe von Adjektiven und Demonstrativpronomen. Der Detailierungsgrad kann stark variieren. Typische Beispiele mit hohem Detailierungsgrad sind Produktwerbungen, beispielsweise für Automobile. Beim «Storyfication Anchor» wird mit erzählerischen Elementen versucht, eine dargestellte Szene in einen Kontext bzw. eine Geschichte einzuordnen und eine zeitliche Komponente einzufügen. Dies erfolgt häufig mithilfe von temporalen Adverbien (z.B. damals, später), konkreten Zeitangaben (im Jahr X, letztes Jahr) oder verschiedenen Zeitformen. Mithilfe dieser Strategie soll das Publikum emotional berührt und dazu animiert werden, sich intensiver mit der Werbebotschaft auseinanderzusetzen. Als Beispiele nennen die Autoren (Sensibilisierungs-)Kampagnen von staatlichen Stellen oder Nonprofit-Organisationen. Schliesslich werden beim «Redefinition Anchor» neue Perspektiven auf alltägliche oder vertraute Dinge eröffnet. Die Betrachter werden aufgefordert, die vermeintliche Diskrepanz zwischen den verbalen und visuellen Elementen aufzulösen und die tiefere Verbindung zu erkennen. Häufige Indikatoren für diesen Anchor sind Negationen (z. B. «Das ist kein...) oder ungewöhnliche, überraschende oder widersprüchliche Beschreibungen der abgebildeten Personen, Objekte oder Szenen. «Solche Werbungen gelten als besonders kreativ und gewinnen häufig nationale und internationale Auszeichnungen», so Fabienne Bünzli.
Bedeutet dies nun, dass der «Redefinition Anchor» die beste Strategie ist? Natürlich nicht. Je nach Werbezielen und -zielgruppen sind unterschiedliche Strategien erfolgversprechender. Die Forschenden machen deshalb mehren Vorschläge (Propositions), wie sich die vier Strategien zielführend einsetzen lassen. Grundsätzlich stellen sie fest, dass die Überzeugungskraft von verbalen Ankern steigt, je mehr diese die Bedeutung des Bildes erweitern und die Zielgruppen dadurch anregen, sich mit der Werbung auseinanderzusetzen. Am stärksten trifft dies auf die Strategie «Redefinition Anchor» zu, gefolgt von Storyfication, Description und letztlich Typification. Voraussetzung für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit einer Werbung ist jedoch, dass die Botschaft von der Zielgruppe verstanden wird. Dies ist am wahrscheinlichsten bei einem «Description Anchor». Wenn es den Rezipientinnen und Rezipienten nicht gelingt, eine sinnvolle Interpretation abzuleiten, führt dies eher zu Verwirrung und Frustration als zu Überzeugung. So gilt den auch: Je expliziter und detailreicher (kompletter) eine Beschreibung ist, desto schneller (und eindeutiger) kann die Werbung von Rezipienten verarbeitet werden. Auch eine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit erhöht gemäss den Autoren die Überzeugungskraft der Werbung.
Doch all dies gilt nicht uneingeschränkt. Gibt es doch auch Personen, die Herausforderungen suchen und zu eindeutige Werbebotschaften als oberflächlich und langweilig empfinden, weshalb sie sich kaum damit auseinandersetzen. Für solche Zielgruppen wählt man ggf. besser einen «Redefinition Anchor», der unvollständige Hinweise auf die Bedeutung des Bildes vermittelt und den Betrachterinnen und Betrachtern daher eine erhöhte Interpretationsleistung abverlangt. «In Zeiten abnehmender Aufmerksamkeitsspannen und steigenden Werbedrucks kann das allerdings riskant sein», so Fabienne Bünzli. Entsprechend sind die von den Forschenden formulierten Strategien und Vorschläge keine Universalrezept für einen gelungenen Einsatz von Werbetexten – sie dienen jedoch als vielversprechendes Tool, um Werbung noch besser auf die Zielgruppen abzustimmen und in ihrer Wirkung voraussagen zu können.
Bild: Jannick Isler
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