close

Forschung - 21.10.2025 - 09:00 

Kann die Schweiz etwas vom norwegischen Naturkatastrophenschutz lernen?

Überschwemmungen, Stürme und Erdrutsche verursachen weltweit Milliardenschäden. Selbst ein umfassendes Versicherungssystem wie in Norwegen kann die wirtschaftlichen Folgen für Privathaushalte nur teilweise abfedern. Dies zeigt die Studie eines Teams aus St.Gallen und Oslo, die am 21. Oktober 2025 an der prominent besetzten Fachtagung «Norges Bank Climate Conference» diskutiert wird.

Die Untersuchung «Weathering the Storm: The Effects of Natural Disasters on Households under Universal Insurance» gründet auf umfangreichen Verwaltungsdaten aus Norwegen, wo sämtliche Gebäude und beweglichen Güter automatisch gegen Naturereignisse versichert sind. Dieses universelle Modell gilt international als einzigartig. Direkt nach einer Katastrophe ersetzt die Versicherung sämtliche Sachschäden nahezu vollständig. Ein Team von Forschenden aus der Schweiz und Norwegen hat untersucht, was danach passiert. «Wir konnten mit Daten aus Norwegen erstmals die indirekten wirtschaftlichen Folgen von Naturkatastrophen isolieren», erklärt Emilia Garcia-Appendini, Professorin für Banking and Financial Intermediation an der Universität St.Gallen (HSG). «Dabei stellte sich heraus: Selbst bei vollständiger Entschädigung erleben Haushalte dauerhaft einen grossen Verlust ihres Vermögens.» 

Einkommen sinkt, Häuser verlieren an Wert 

Die Ergebnisse sind ernüchternd: Vier Jahre nach einem Unwetter oder Erdrutsch liegen die Einkommen der betroffenen Haushalte im Schnitt 16 % unter dem Wert der direkten Schäden. Das Autorenteam schätzt, dass der Konsum um rund 1460 USD statt ursprünglich 720 USD sinkt. Besonders stark betroffen sind Eigentümerinnen und Eigentümer von Häusern: Sie reduzieren ihren Konsum deutlich stärker als Mieterinnen und Mieter – eine Folge des Rückgangs der Immobilienwerte, der in der Studie als «Deleveraging-Effekt» beschrieben wird. 
 
Ein weiterer zentraler Befund der Untersuchung betrifft die Arbeitsmärkte. «Wenn Katastrophen vor allem Firmen treffen, steigen in der betroffenen Region kurzfristig die Arbeitslosenzahlen deutlich an», sagt Mitautor Sigurd Mølster Galaasen von der Norges Bank. Dies zeige, dass der wirtschaftliche Schock weit über die zerstörten Gebäude hinausgehe. Zwar springe die Versicherung bei der Reparatur der Sachwerte ein, doch die Einkommensverluste aufgrund von Produktionsausfällen oder sinkender Nachfrage würden nicht kompensiert. 

Das Solidaritätsprinzip: Stärke und Schwäche zugleich 

Das norwegische Modell beruht auf einem Solidaritätsprinzip: Alle Versicherten zahlen denselben Beitrag, unabhängig vom individuellen Risiko. Dieser einheitliche Prämienansatz sei politisch umstritten, erklärt HSG-Professorin Emilia Garcia-Appendini, aber ökonomisch stabilisierend: «Er verhindert, dass Hochrisikogebiete unversicherbar werden.»
 
Das Schweizer Modell der Elementarschadenversicherung gilt international als Vorbild. Der Felssturz von Blatten hat gezeigt, dass das System der Elementarschadenversicherung in der Schweiz auch heute seinen ursprünglichen Zweck erfüllt. Das Hochwasser von 2005 war ein Wendepunkt für die Schweizer Versicherer, wie der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) in einem Bericht betont. Seither wurden verschiedene Massnahmen der Hochwasserprävention massiv ausgebaut. 

«Versicherungen allein schützen nicht vor Wohlstandsverlust», resümiert Emilia Garcia-Appendini. «Was zählt, ist die wirtschaftliche Resilienz – also wie rasch sich Einkommen, Beschäftigung und Konsum nach einer Katastrophe erholen. Die Erfahrungen in Norwegen zeigen jedoch, dass die Erholung langsam verlaufen kann.» Diese Erkenntnis dürfte auch für die Schweizer Politik von Bedeutung sein.

Fachkonferenz in Oslo: internationale Bühne für Klimarisiken 

Die Ergebnisse der Studie werden auch an der online-gestreamten Tagung am 21. Oktober 2025 in Oslo diskutiert. Die «Norges Bank Climate Conference» ist eine der international renommiertesten Fachkonferenzen zu Klima und Finanzwirtschaft. Unter den Teilnehmenden sind Christine Lagarde, Al Gore, Bård Harstad (Stanford), Kristin Halvorsen (CICERO). Studienautorin Emilia Garcia-Appendini von der Universität St.Gallen wird die Ergebnisse dieser Forschung vorstellen. Ziel ist es, tragfähige Wege zu einer stabilen Finanzarchitektur im Zeitalter der Klimarisiken zu entwickeln. 


Bild: Adobe Stock / Mor65_Mauro Piccardi

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north