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Hintergrund - 28.05.2019 - 00:00 

Warum Populismus und illiberale Politik anziehend wirken

Der Rechtspopulismus hat auf beiden Seiten des Atlantiks zugenommen. Worin liegt seine Anziehungskraft begründet? Und was ist zu tun, um die Demokratie vor der Aushöhlung zu retten? Diesen Fragen widmete sich Professor Charles Kupchan in einem öffentlichen Vortrag an der HSG. Er war vor allem von Studierenden gut besucht.

28. Mai 2019. Der amerikanische Politikwissenschaftler und Experte für Aussenpolitik Charles Kupchan erinnerte daran, dass die Vereinigten Staaten und Grossbritannien einst die Grundlage für die liberale Weltordnung und später für die moderne, globalisierte Welt legten. Heute seien sie nicht mehr in der Lage, die liberale internationale Ordnung zu verteidigen. Beide befänden sich auf einem Weg in die Sackgasse. «Das Zwei-Parteien-System hat in diesen beiden Ländern versagt», betonte der Referent. In Amerika habe es vielen Wählerinnen und Wählern keine Alternative zum verhassten politischen Establishment geboten, weshalb sie sich in den Trumpschen Dreiklang von Populismus, Nationalismus und Protektionismus geflüchtet hätten. In Grossbritannien habe das Dilemma zum bevorstehenden Austritt aus der europäischen Union geführt.

Unzufriedenheit als Nährboden für Populismus

Als Nährboden für die Anziehungskraft rechtspopulistischer und autokratischer Regierungen nannte Charles Kupchan unter anderem die globale sozioökonomische Ungleichheit, die Angst vor Migration und Terrorismus sowie das Gefühl, auf der Verliererseite der Globalisierung zu stehen. «Früher zahlte der grösste Arbeitgeber in den USA seinen Arbeitenden 30 Dollar in der Stunde, heute sind es 8 Dollar», erklärte er. Dieser verständliche Unmut der Wählerschaft mache deutlich, dass die postindustriellen Staaten nicht genug getan hätten, um die Globalisierung so zu gestalten, dass von ihr grössere Teile der Gesellschaften profitierten.

Wer die Not der arbeitenden Klassen ignoriere, gefährde die westliche Demokratie. Die Anziehungskraft von Trump und anderen populistischen Politikerinnen und Politikern bestehe darin, dass sie ihre drängenden Fragen thematisierten. Dabei spiele es eine untergeordnete Rolle, dass sie die falschen Antworten lieferten. Methoden und Rhetorik funktionierten bei der Basis, weil sie Identität schafften. In den USA aber werde der eingeschlagene Kurs die Notlage der sozial ärmeren Schichten nur noch verschlimmern.

Lösungen für drängende Probleme sind dringend gefragt

In Europa sehe die Lage dank des Mehrparteien-Systems etwas besser aus, erklärte Charles Kupchan weiter. Abgesehen von Italien befänden sich Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien noch immer im Zentrum der politischen Willensbildung und der politischen Wahl. Allerdings sinke auch ihre Akzeptanz. In Polen, Ungarn und der Türkei habe die Unzufriedenheit mit den Auswirkungen der Globalisierung zum Rückzug in die vermeintliche Sicherheit des Nationalstaates geführt. In diesen Ländern sei eine der grössten Gefahren der Angriff auf die Unabhängigkeit der Gerichte.

«Die Demokratie ist immer noch das beste Wertesystem, das wir auf der Welt haben», betonte der Politikwissenschaftler. Um das demokratische Wertesystem nicht zu verlieren, brauche es aber dringend Lösungen für die drängenden Probleme. Die Kräfte der politischen Mitte müssten sich zusammentun und einen neuen Gesellschaftsvertrag anbieten, der eine glaubwürdige Alternative zu den falschen ökonomischen Versprechen der Populisten biete. Um das Vertrauen der arbeitenden Menschen in das politische Establishment wiederherstellen, brauche es einen umfassenden Plan und neue Initiativen zu Bildung, Ausbildung, Handelspolitik, Steuern und Mindestlöhnen. Die Globalisierung sei nicht mehr aufzuhalten. Umso wichtiger sei es, das Augenmerk auf die wachsende Ungleichheit zu richten. «Wir müssen dafür sorgen, dass alle in den Genuss eines angemessenen Lebensstandards kommen und an den Vorzügen der Globalisierung teilhaben können.»

Charles Kupchan ist Professor für International Affairs an der Georgetown University und Senior Fellow des Think Tanks Council on Foreign Relations. Als ehemaliger Berater der US-Regierungen Clinton und Obama gilt Charles Kupchan als ausgewiesener Experte der amerikanischen Demokratie. Organisiert wurde der öffentliche Vortrag vom Master-Programm International Affairs and Governance (MIA) und der School of Economics and Political Science (SEPS) an der Universität St.Gallen.

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