Forschung - 10.12.2025 - 12:00
Künstliche Intelligenz ist längst mehr als eine technologische Innovation. Sie beginnt, Arbeitskulturen zu prägen und den Büroalltag zu verändern. Führungskräfte müssen Wege finden, maschinelle und menschliche Intelligenz sinnvoll zu verbinden. Hans Rusinek, Forscher an der Universität St.Gallen, skizziert drei neue Spannungsfelder, die weniger aus der Technologie selbst entstehen als aus ihrem konkreten Einsatz.
Viele Unternehmen investieren Milliarden in generative KI, warten aber noch immer auf messbare Produktivitätsgewinne. In der Zwischenzeit entdecken viele Firmen ein stilleres, aber umso schädlicheres Nebenprodukt, das Rusinek als «Workslop» bezeichnet.
Gemeint sind KI-generierte Inhalte, die poliert wirken und gut klingen, aber inhaltlich leer bleiben: Präsentationen ohne Gedanke, Berichte ohne Relevanz, Nachrichten ohne Bedeutung. Die nötige Nachbearbeitung kostet nicht nur Zeit, sondern greift auch das soziale Gefüge von Organisationen an.
«Workslop» wirkt sich negativ auf Vertrauen aus. Eine Studie des Stanford Social Media Lab zeigt: Nach der Erfahrung mit inhaltsleeren, KI-generierten Arbeitsresultaten halten 42 % ihre Kolleginnen und Kollegen für weniger verlässlich, 37 % sogar für weniger kompetent. Vom Generieren neuer Ideen bis zum Überarbeiten von Texten: Was als «schlechte Arbeit» beginnt, wird schnell zu einem Vertrauensproblem. Wo Ergebnisse substanziell aussehen, es aber nicht sind, etabliert sich ein stilles Misstrauen.
In seiner Forschungs- und Beratungspraxis mit Unternehmen in ganz Europa beobachtet Hans Rusinek, wie rasch vermeintliche «KI-Effizienz» in eine Kultur latenter Skepsis umschlägt: Kolleginnen und Kollegen werden zu Gatekeepern statt zu Mitstreitern, Vertrauen schwindet, Führungskommunikation wirkt plötzlich synthetisch statt menschlich. Wenn Mitarbeitende «Workslop» als Zeichen von Unzuverlässigkeit lesen, wird aus einem technologischen Risiko ein zwischenmenschliches.
Die Lehre daraus ist einfach: Nicht KI vergiftet die Arbeit, sondern der unreflektierte Umgang mit ihr. Reguliert müsse nicht das Modell werden, sondern die Denkweise darüber im Team, betont Rusinek.
KI verspricht Effizienzsprünge. Doch Effizienz ist nicht gleich Produktivität. Wie Ökonom Benedikt Frey von der Universität Oxford es ausdrückt: Produktivität bedeutet, Neues zu schaffen – nicht Altes schneller abzuarbeiten. Ein grosses Sprachmodell, das im 19. Jahrhundert trainiert worden wäre, hätte den Flug der Gebrüder Wright selbstbewusst für unmöglich erklärt; eines aus der Zeit vor Galileo hätte pflichtbewusst ein geozentrisches Weltbild reproduziert. Paradox ist, dass KI im Konsens stark ist, nicht aber im Entdecken. Zumindest nicht aus eigener Kraft.
Seit fünfzig Jahren nutzen wir immer schnellere Rechner in Taschen und Büros, doch das Produktivitätswachstum ist von 2 % in den 1990er Jahren auf 0,8 % im vergangenen Jahrzehnt gefallen. Auch die Forschungsproduktivität nimmt ab. Es gibt immer mehr Forschende, aber weniger Durchbrüche. Künstliche Intelligenz droht dieses Muster zu verstärken. Sie beschleunigt Routineaufgaben, etwa das Schreiben von E-Mails oder Zusammenfassungen. Doch die eingesparte Zeit geht oft in noch mehr solcher Mikroaufgaben verloren.
Die entscheidende Frage ist, ob wir KI nutzen, um menschliche Intelligenz zu verstärken, oder ob wir damit lediglich das Wissen von gestern beschleunigen. Wahre Produktivität entsteht im Neuen, so Rusinek.
KI wird rasant besser in dem, worin Maschinen schon immer überlegen waren: Geschwindigkeit, Mustererkennung, Optimierung. Und gerade deshalb müssen wir besser werden in dem, worin Menschen einzigartig sind. Das eigentliche Risiko besteht heute nicht darin, dass KI uns übertrifft, sondern dass wir uns weiterhin selbst wie Maschinen behandeln. Gehetzt, im Dauer-Multitasking und auf Kosten unserer eigenen Intelligenz.
Die Zahlen sind ernüchternd: Wissensarbeiterinnen und -arbeiter werden im Durchschnitt alle vier Minuten unterbrochen und benötigen neun Minuten, um sich erneut zu fokussieren. Studien zu Unterbrechungen durch vollständige (Online-)Meetings kommen sogar auf über 20 Minuten, um nach einer Sitzung wieder in einen konzentrierten Arbeitsmodus zu finden. Trotz immer schnellerer Geräte sinkt das Produktivitätswachstum seit Jahrzehnten. 60% der Beschäftigten fühlen sich kognitiv unterfordert. Anders gesagt: Die Krise der Intelligenz begann lange vor der KI.
Hier wird KI zum unerwarteten Spiegel. Indem sie die mechanischen Teile des Denkens übernimmt, legt sie offen, wie viel unserer vermeintlichen «Klugheit» schon immer maschinenhaft war. Das führt zur eigentlichen Frage: Was ist menschliche Intelligenz, wenn die Maschine den maschinellen Teil übernimmt?
Menschliche Intelligenz ist körperlich verankert, emotional, intuitiv und relational. Sie beginnt nicht mit Berechnung, sondern mit dem, was der Philosoph Byung-Chul Han von der Universität der Künste Berlin «das erste Bild des Denkens» nennt. Gänsehaut – jener Moment, in dem uns etwas so tief berührt, dass wir denken müssen.
KI kann das nicht empfinden, da ihr ein Körper fehlt. Wir hingegen können es.
Richtig eingesetzt, könnte KI zum Katalysator werden, der Organisationen dazu zwingt, diese umfassendere, lebendigere Form menschlicher Intelligenz wiederzuentdecken. Neugier, moralisches Urteilsvermögen, Imagination, Sinnstiftung.
Die Ironie liegt darin, dass ausgerechnet KI uns daran erinnern könnte, wozu Menschen fähig sind.
Hans Rusinek ist Philosoph, Ökonom, Forscher und Dozent für «Meaningful Work» an der Universität St.Gallen. Er beschäftigt sich mit der Zukunft der Arbeit und den Auswirkungen von Technologie auf den Alltag.
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