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Veranstaltungen - 01.12.2016 - 00:00 

Strafrecht: Wieviel Moral darf sein?

In welcher Beziehung stehen Recht und Moral? Müssen sie unabhängig voneinander betrachtet werden? Und wie wirkt es sich aus, wenn moralischer Druck die Gesetze bestimmt? – Mit diesen Fragen beschäftigte sich eine Tagung an der HSG.

2. Dezember 2016. Die Schweizerische Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (SVRSP) hat am 1. und 2. Dezember an der Universität St.Gallen getagt. Die Referate und Diskussionen drehten sich um das Thema «Strafrecht und Moral». Zur Sprache kamen unter anderem auch die populistischen Einflüsse, die in jüngster Zeit zu neuen Gesetzen wie beispielsweise zur Umsetzung der Verwahrungsinitiative oder der Ausschaffungsinitiative geführt haben.

In spannungsgeladenem Verhältnis

Die Referate der ersten Redner machten deutlich, dass über die Beziehung zwischen Recht und Moral in der Geschichte viel diskutiert und gestritten wurde. «Das Verhältnis von Strafrecht und Moral ist komplex. Es gibt Trennendes und Verbindendes», erklärte Prof. Dr. Kristian Kühl von der Universität Tübingen. Rechtliche und moralische Normen stünden seit Jahrhunderten in einer spannungsgeladenen Haltung zueinander, betonte auch Prof. Dr. Lukas Gschwend, Prorektor Lehre an der Universität St.Gallen.

Den Ausführungen war zu entnehmen, dass Recht und Moral tatsächlich unabhängig voneinander sind. Ethische Normen gehen weder in rechtlichen Normen auf noch umgekehrt. Zudem gibt es keine unabhängige Instanz, bei der die Übertretung einer moralischen Norm einklagt werden kann. Andererseits sind Recht und Ethik wohl auch nicht gänzlich trennbar. Ein Rechtssystem, das systematisch mit ethischen Regeln in Konflikt ist, wäre vermutlich nicht nur wenig stabil, sondern auch kaum akzeptabel.

Moralischer Druck der Öffentlichkeit

«In einigen Fällen werden Gesetze neu erlassen, schon vorhandene Gesetze umformuliert oder mit Ergänzungen versehen, weil in der Gesellschaft ein starker moralischer Druck entsteht», wurde an der Tagung betont. Dies zeige, dass eine gewisse Verschränkung von gesellschaftlicher Moral und rechtlichen Regelungen vorhanden sei. Wichtig sei jedoch auseinander zu halten, dass zwar moralische Vorstellungen in die Gesetze mit einfliessen, dass jedoch das Gesetz und seine Organe keine Moral vorschreiben könne und wolle. «Recht ist gerichtlich einklagbar, Moral ist es nicht.»

Prof. Dr. Martino Mona von der Universität Bern sprach die Initiativen an, die in den vergangenen Jahren von der Bevölkerung gegen den Willen von Parlament und Regierung und gegen die einhellige Überzeugung von Expertinnen und Experten des Strafrechts gutgeheissen wurden. Hierbei handle es sich um eine eigentliche Polemik. Die Verschärfung des Strafrechts durch den Volkswillen führe zu erheblichen Spannungen zwischen dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip. Problematisch sei, dass die Bürgerinnen und Bürger Gesetze für die «Anderen» machten. Beim Erlassen eines Gesetzes gelte es jedoch, sich in die Perspektive des Täters zu versetzen. «Man muss ein Gesetz auch auf sich selber anwenden wollen.» Werde dies unterlassen, sei das Resultat eine selektive Gesetzgebung, die jegliches Mass verliere. «Sie betrifft dann eben nicht ‹uns›, sondern nur andere Menschen, die wir selber nie sein werden und zu denen wir oft kaum einen Bezug haben.» Ein Beispiel dafür seien die Ausländer.

Dieser Aspekt wurde von weiteren Referentinnen und Referenten thematisiert und verdeutlicht. In der Debatte um die Rasergesetze hätten beispielsweise die Leute irgendwann gemerkt, dass nicht nur junge Männer vom Balkan davon betroffen sein könnten, sondern auch sie selber. Betont wurde aber auch, dass von den Laien bei der Forderung nach schärferen Gesetzen oft übergeordnetes Recht oder Errungenschaften wie die Europäische Menschenrechtskonvention nicht berücksichtigt werden.

Verpolitisierung des Strafrechts

Dr. Patrick Guidon, Vizepräsident des Kantonsgerichts St.Gallen, bedauerte die Verpolitisierung des Strafrechts und der Strafzumessung. Er gab zu bedenken, dass ein immer grösserer Strafenkatalog nicht abschreckend wirke, sondern das Kernstrafrecht verwässere. «Regeln, die sich ständig verändern, sind schwierig zu vermitteln. Sind sie für die Menschen aber nicht mehr verständlich, stellt sich die Frage, was das Strafsystem taugt.» Falsch sei zudem die Meinung, dass das Strafrecht ein «Allheilmittel» zur Beseitigung gesellschaftlicher Missstände sein könne.

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