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Hintergrund - 20.03.2025 - 09:00 

«Milei setzt nur auf den Markt – die Geschichte zeigt aber, dass das nicht funktioniert.»

Argentinien erlebt unter Präsident Javier Milei einen radikalen wirtschaftspolitischen Wandel. Die Inflation sinkt, doch die sozialen Kosten steigen. Der argentinienstämmige Soziologe Prof. Dr. Matias Dewey vom Lehrstuhl für Lateinamerikastudien an der Universität St.Gallen (HSG) analysiert die aktuelle Lage und erklärt, warum er Mileis Strategie für riskant hält.
Bildquelle: Mídia NINJA via La Mar de Onuba, CC BY-NC 4.0 Deed

Herr Dewey, unter der Regierung von Javier Milei ist die Inflation in Argentinien gesunken. Ist das nicht ein Erfolg?

Das kann man so sehen, aber dieser Erfolg hat einen hohen Preis. Die Regierung hat die sozialen Ausgaben drastisch gekürzt. Das bedeutet, dass Millionen von Menschen, insbesondere in den ärmeren Bevölkerungsschichten, ohne staatliche Unterstützung dastehen. Die Armutsquote ist gestiegen, und die informelle Wirtschaft wächst rasant.

Welche konkreten Massnahmen haben dazu geführt?

Die Regierung hat Sozialhilfen, Subventionen und Unterstützungsprogramme massiv beschnitten. Menschen mit Behinderungen, Familien mit geringem Einkommen und andere benachteiligte Gruppen leiden besonders unter diesen Einschnitten. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, weil die Wirtschaft nicht sofort auf die Reformen anspringt.

Argentinien ist betreffend Inflation und Staatsschulden bereits seit längerer Zeit ein Sorgenkind. Wie unterscheidet sich Mileis Politik im Kern von seinen Vorgängern?

Während die peronistischen Regierungen unter Néstor und Cristina Kirchner hohe Sozialausgaben und den Abbau der Auslandsschulden durch Exportsteuern und allgemein eine stärkere Besteuerung der Unternehmen finanzierten, erhöhte Mauricio Macri im Gegenzug die Auslandsschulden und senkte auf der anderen Seite die Unternehmenssteuern. Milei hingegen will beides: Er kürzt die Ausgaben und senkt Steuern. Er verfolgt eine Schocktherapie und hofft, dass sich die Wirtschaft von selbst erholt.

Vielleicht könnte es genau diese Strategie sein, die Argentinien braucht?

Ich habe grosse Zweifel daran. Es gibt keinen Entwicklungsplan, der langfristige Investitionen oder Arbeitsplätze schaffen würde. Milei setzt darauf, dass der Markt das allein regelt, aber die Geschichte zeigt, dass das nicht funktioniert. In den 1990er Jahren führte in Argentinien eine ähnliche Politik unter Carlos Menem zu massiver sozialer Ungleichheit und wirtschaftlicher Instabilität.

Trotz der massiven Einschnitte bleibt Mileis Popularität hoch. Woran liegt das?

Zum einen gibt es eine tiefe Ablehnung der früheren peronistischen Regierungen, was vielen Wählern keine echte Alternative liess. Die Vorgängerregierungen, ich würde sagen seit 2011, haben keine Arbeitsplätze geschaffen und die Wirtschaft nicht dynamischer gemacht. Ganz im Gegenteil. Zum anderen inszeniert sich Milei als kompromissloser Kämpfer gegen das politische Establishment. Seine radikale Rhetorik und sogar Grausamkeit scheint bei vielen Argentiniern gut anzukommen, selbst wenn sie die direkten Folgen seiner Politik spüren.

Die politische Polarisierung ist nicht nur ein argentinisches Problem. Was sind die Gründe für diesen globalen Trend?

Ja, wir sehen das in vielen Ländern. Extreme Positionen gewinnen an Zuspruch, während gemässigte Kräfte an Einfluss verlieren. Die politische Mitte wird geschwächt, weil viele Menschen das Gefühl haben, dass ihre Situation sich unter den bisherigen gemässigten Regierungen nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat. Das erklärt den Erfolg von populistischen Politikern wie Milei.

Welche langfristigen Folgen erwarten Sie für Argentinien?

Wenn Mileis Politik scheitert, könnte das Land in eine noch tiefere Krise rutschen. Die soziale Ungleichheit könnte weiter wachsen, und ohne staatliche Eingriffe droht die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale zu geraten. Die grosse Frage ist: Was kommt danach? Denn ein Scheitern Mileis würde nicht automatisch bedeuten, dass eine bessere Alternative bereitsteht.

 

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