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Forschung - 20.10.2025 - 10:00 

Künstliche Intelligenz als Gamechanger der Altersvorsorge

Steigende Lebenserwartung, tiefe Zinsen und fragmentierte Erwerbsbiografien setzen das Dreisäulensystem unter Druck. Vielen Versicherten fehlt das Wissen, um ihre Vorsorge aktiv zu gestalten. Eine Studie von Forschenden der Universität St.Gallen zeigt, wie es um die Altersvorsorge in der Schweiz steht. Und welche Möglichkeiten KI bietet, die Vorsorge passgenau zu gestalten.

Die Schweizer Altersvorsorge steht an einem Wendepunkt. Während der Staat um die Finanzierung der AHV ringt, kämpfen Pensionskassen mit Renditedruck und hohen Verwaltungskosten. Vor diesem Hintergrund hat Prof. Dr. Martin Eling am Institut für Versicherungswirtschaft (IVW-HSG) der Universität St.Gallen im Auftrag von PensExpert untersucht, wie Künstliche Intelligenz (KI) helfen kann, diese Herausforderungen zu meistern. Unter dem Titel «Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Altersvorsorge» haben die Forschenden sieben zentrale Handlungsfelder identifiziert – von der Beratung über die Automatisierung bis zur Finanzbildung. 

Die Baustellen bei der Altersvorsorge 

Die Probleme sind bekannt: Das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnerinnen und Rentnern verschiebt sich, die Umlagesysteme geraten unter Finanzierungsdruck, während gleichzeitig das Vertrauen in langfristige Anlageprodukte sinkt. Dazu kommen unübersichtliche Vorsorgelandschaften, eine komplexe Regulierung und eine Bevölkerung, die immer älter, aber auch digitaler wird. 

«Unsere Altersvorsorge basiert auf Modellen aus dem 20. Jahrhundert, während wir längst im digitalen Zeitalter leben», sagt Martin Eling. KI könne hier zum «entscheidenden Hebel» werden – vorausgesetzt, sie werde richtig eingesetzt. 

Sieben Hebel für die Zukunft 

Laut der HSG-Studie eröffnet KI sieben konkrete Chancenfelder für die Vorsorge: 

  1. Automatisierung und Effizienzsteigerung:  
    Der grösste Hebel laut Studie (Durchschnittsbewertung 4.03 von 5 Punkten). KI kann Verwaltungsprozesse wie Beitragszahlungen, Leistungsabrechnungen oder regulatorische Prüfungen vereinfachen und so Kosten senken. 
  2. Finanz- und Vorsorgebildung: 
    KI-gestützte Lernplattformen können komplexe Themen personalisiert und verständlich vermitteln. Besonders jüngere Generationen könnten dadurch früher und gezielter vorsorgen. 
  3. Vorsorgeberatung: 
    Digitale Assistenten oder «Robo-Advisors» ermöglichen eine personalisierte, rund-um-die-Uhr verfügbare Beratung, die menschliche Expertise ergänzt. 
  4. Personalisierung von Vorsorgeplänen: 
    Durch die Analyse von Finanz-, Gesundheits- und Lebensstildaten können massgeschneiderte Vorsorgelösungen entstehen. 
  5. Optimierung von Anlagestrategien: 
    KI erkennt Muster in Echtzeit und hilft, Risiken zu minimieren und Renditen zu verbessern. 
  6. Betrugsprävention und Datenschutz: 
    Anomalieerkennung kann Missbrauch verhindern, birgt aber neue ethische und sicherheitstechnische Herausforderungen. 
  7. Gesundheitsvorsorge und Pflege: 
    Durch präventive Analysen könnten Gesundheitsrisiken früher erkannt und Pflegekosten langfristig gesenkt werden. 

Besonders hoch ist das Vertrauen der Expertinnen und Experten in Effizienzgewinne und Bildungsinitiativen: Fast 80 % der Befragten aus der Pensionskassenbranche halten signifikante Produktivitätssteigerungen für «sehr wahrscheinlich». 

«Die KI wird schneller wirken als jede Regulierung» 

«Die KI wird die Altersvorsorge schneller verändern als jede Regulierung», warnt Eling. «Wer ihre Chancen nutzt, kann Kosten massiv senken und Millionen Menschen besseren Zugang zur Vorsorge verschaffen – wer sie ignoriert, riskiert den Anschluss zu verlieren.» 

Diese Einschätzung teilt auch Jörg Odermatt, Verwaltungsratspräsident von PensExpert, die Auftraggeberin der Studie: «KI kann eine echte Chance sein: Die Mehrheit der Schweizer Vorsorgestiftungen der zweiten und dritten Säule kann dank geschickt eingesetzter KI ihre Verwaltungsprozesse deutlich optimieren und auch den Ausbildungsstand ihrer Versicherten verbessern.» Unbestritten sei: «Die Versicherten erwarten von einer KI-basierten Ausbildungs- und Informationsplattform höchste Qualität, absoluten Datenschutz und vollständige Transparenz.» 

Zwischen Vertrauen und Transparenz 

Eling betont, dass der Erfolg von KI in der Vorsorge vom Vertrauen der Versicherten abhänge: «Ohne Datenschutz, Nachvollziehbarkeit und ethische Standards wird KI zum Risiko statt zur Lösung.» Die Forschenden fordern daher drei konkrete Schritte: 

  1. Klare regulatorische Rahmenbedingungen für Datenschutz, Transparenz und Haftungsfragen. 
  2. Hybride Beratungsmodelle, die menschliche und maschinelle Kompetenz kombinieren. 
  3. Investitionen in digitale Bildung, um auch weniger technikaffine Bevölkerungsgruppen mitzunehmen. 

Dass KI enormes wirtschaftliches Potenzial hat, zeigt auch eine aktuelle Analyse von economiesuisse: Würde die Schweiz KI breit einsetzen, könnte das Bruttoinlandprodukt bis 2030 um mehrere Prozentpunkte wachsen. Doch der Verband mahnt, die Technologie müsse verantwortungsvoll eingeführt werden – besonders in sensiblen Bereichen wie Finanzen oder Gesundheit. 

Ähnlich argumentiert die Handelszeitung, die kürzlich titelte: «Künstliche Intelligenz trifft auf Altersvorsorge». Darin wird betont, dass viele Schweizer Pensionskassen zwar über gewaltige Datenbestände verfügen, diese aber kaum nutzen. KI-gestützte Analysen könnten helfen, Rendite- und Risikoentscheidungen zu verbessern – vorausgesetzt, die Algorithmen bleiben nachvollziehbar. 

Auch Institutional Money weist darauf hin, dass der digitale Wandel die gesamte Vorsorgebranche erfasst. KI-Anwendungen könnten zu einer neuen Generation datenbasierter Vorsorgelösungen führen – mit einem Fokus auf Prävention und individueller Planung statt pauschaler Standardmodelle. 

Gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen 

Die HSG-Studie zeichnet insgesamt ein Bild des «vorsichtigen Optimismus». KI könne die Altersvorsorge effizienter, flexibler und gerechter machen – sofern Politik, Anbieter und Gesellschaft die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. 

«Technologische Innovation, regulatorische Klarheit und gesellschaftliche Verantwortung müssen Hand in Hand gehen», fasst Eling zusammen. «Dann kann KI zu einem nachhaltigen Stützpfeiler moderner Altersvorsorge werden.»  

Doch er warnt: «Die Versuchung ist gross, sich auf die Technik zu verlassen. Aber KI ersetzt nicht den gesunden Menschenverstand – sie braucht ihn mehr denn je.» 


Studie zum Download

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