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Hintergrund - 20.01.2020 - 00:00 

Kompetenzzentrum Afrikaforschung – Ein blinder Fleck rückt in den Fokus

Das Kompetenzzentrum für Afrikaforschung (CCAR-HSG) ist offiziell eröffnet. Vom 14.-15. Januar 2020 versammelten sich Teilnehmende aus Europa, Afrika und Nordamerika zum gemeinsamen Austausch. Das Symposium erfüllte die Erwartungen und macht Lust auf mehr. Von Studentenreporter Thomas Tarantini.

20. Januar 2020. «Dies ist ein aussergewöhnliches Symposium für die gesamte Schweiz». So eröffnete Initiator Florian Wettstein, Professor für Wirtschaftsethik, den Launch Event des Kompetenzzentrums für Afrikaforschung (CCAR-HSG) im Kantonsratssaal St.Gallen. Prorektor Aussenbeziehungen Ulrich Schmid ging noch einen Schritt weiter und nannte Afrika einen «blinden Fleck im Schweizer Bildungssystem». Diese neu geschaffene Plattform wirke dem nun entgegen.

Tatsächlich zeigte sich schnell das Potenzial dieser schweizerisch-afrikanischen Kollaboration. Die Teilnehmenden diskutierten rege miteinander, tauschten unterschiedliche Ideen und Sichtweisen aus und pflegten dabei stets einen herzlichen Umgang miteinander. Dessen Wichtigkeit betonte auch Mitinitiator und Leiter des Kompetenzzentrums Thierry Ngosso in seiner Ansprache. Er erfreut sich daran, dass der Diskurs über Afrika nun auch an der Universität St.Gallen verstärkt Einzug findet, denn nicht nur Afrika soll über Afrika sprechen.

Der schmale Korridor zwischen Staat und Gesellschaft

Thierry Amougou von der Katholischen Universität Löwen erörterte in der ersten Key Note Speech das Konzept des «Narrow Corridor», angelehnt an das gleichnamige Buch von Daron Acemoglu und James A. Robinson. Kern dieser Lehre ist die ausbalancierte Machtverteilung zwischen Staat und Gesellschaft. Ein Volltreffer. Amougou ging auf unterschiedliche Entwicklungen in Kamerun und der Demokratischen Republik Kongo ein, bis hin zur Digitalisierung. Er kam zum Schluss, dass die daraus resultierende Macht stärker zugunsten des Staats ausfällt, wenngleich die Bevölkerung im Alltag ebenso davon profitiert. Die anschliessende Diskussion zeigte eindrücklich auf, warum dieser durch das CCAR neu geschaffene Dialog so wertstiftend ist.

Das komplette Abschalten des Internets – bei uns ein unwahrscheinlicher Albtraum, in manchen afrikanischen Staaten aber Realität. Tatsächlich obliegt es mancherorts den Regierungen, das Internet bzw. den Datenverkehr einzudämmen oder gänzlich abzuschalten. Die Teilnehmenden diskutierten, ob überhaupt ein afrikanisches Land den «Narrow Corridor» erreicht hat. Eine Stimme meinte dazu, es läge wohl nur in der Macht des Staates, diesen Ziel-Zustand zu erreichen. Amougou entgegnete, dass die Gesellschaft sehr wohl auch selbst darauf hinarbeiten kann. Die bestehende Macht müsse nur entsprechend organisiert und nach aussen getragen werden, erläuterte er.

Afrikanische Diversität und angeregte Diskussionen

Neben vier Key Note Speeches fanden auch acht Panels statt. Der Fokus der Themen variierte dabei zwischen Technologie, Ethik sowie unterschiedlichen afrikanischen Ländern. In diesem diskussionsorientierten Format war die Diversität innerhalb Afrikas deutlich spürbar. Es war spannend, Gesprächen zwischen eingeladenen RepräsentantInnen zu lauschen, die in ähnlicher Weise zwischen BewohnerInnen verschiedener Länder in Europa stattfinden könnten.

In den ersten beiden Panels diskutierten die Teilnehmenden den Effekt der Technologie auf die Kultur, mit besonderem Fokus auf Informations- und Kommunikationstechnik sowie künstliche Intelligenz. Dabei hob Rednerin Ndidi Nwaneri von der Lagos State University hervor, dass Kulturen dynamisch seien. Im Falle von Wandel passen sie sich üblicherweise an. Alternativ sterben sie und würden ersetzt. Dies sei konsistent mit der menschlichen Natur. Nwaneri erklärte zudem den Prozess der psychologischen Indigenisierung, also der Übernahme von «Fremdem». Wechselndes Besitztum spiele dabei eine grössere Rolle als beispielsweise ein Ortswechsel. Somit habe die Einführung neuer Technologien und Geräte eine hohe soziale Auswirkung, die berücksichtigt werden muss.

Im Panel von Denis-Ghislain Mbessa von der Universität Yaoundé I diskutierten die Teilnehmenden intensiv die Rolle der westlichen Kultur in Afrika. Mbessa möchte neue Technologien nutzen und gleichzeitig einer übergreifenden Verwestlichung widerstehen. Ein Teilnehmer sah hier einen Widerspruch und redete eher von einer Integration statt von Widerstand oder gar Ablehnung. Schliesslich kämen diese Technologien zumeist aus westlichen Kulturen und sind dadurch geprägt, ergänzte er. Einig waren sich die Teilnehmenden in der wichtigen Rolle der Bildung in der Verwendung der Technologien.

Existenz dank SIM-Karten

Ein weiterer haftenbleibender Diskussionspunkt beinhaltete SIM-Karten. Bei uns eine Selbstverständlichkeit, andernorts viel mehr: «Dank SIM-Karten begannen einige Menschen erst zu existieren», argumentiert eine Teilnehmerin aus Nigeria. Tatsächlich nimmt die SIM-Karte mancherorts die Funktion der Adresse ein. Nicht in jedem Land und bei jedem Anbieter müssen bei Kauf und Nutzung jedoch Personendaten hinterlegt werden. Dazu kommt, dass der Besitz mehrerer SIM-Karten oder Wechsel wegen Diebstahl weit verbreitet sind, wie eine Teilnehmerin aus Südafrika ergänzt. Diese mangelnde Identifizierbarkeit führt zu einer erschwerten Überwachung des Datenverkehrs. Gemäss einer weiteren Stimme sei die Identifikation aller Leute ein zentraler Schritt, der überall in Afrika getan werden muss, um Fortschritt zu erzielen.

Positives Feedback und zufriedene Organisatoren

Der Launch Event des CCAR-HSG macht Lust auf mehr. Die Teilnehmenden haben die gebotene Plattform enthusiastisch genutzt. Die Organisatoren zeigen sich ebenso erfreut. Florian Wettstein meint dazu: «Es war ein sehr inspirierendes Auftaktsymposium auf sehr hohem Niveau und mit vielen engagierten Gesprächen und Diskussionen. Wir spürten grosses Interesse und viel Support für das Competence Center – insbesondere auch von unseren Gästen aus verschiedenen afrikanischen Ländern.»

Thomas Tarantini studiert Business Innovation (MBI) und im Lehrprogramm in Wirtschaftsjournalismus.

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