Forschung - 28.10.2025 - 13:30
Demografischer Wandel und technologische Fortschritte verändern den Arbeitsmarkt grundlegend. Immer mehr Arbeitnehmende erreichen das Rentenalter, während jüngere Kohorten kleiner werden. Gleichzeitig erfordert die sogenannte «doppelte Transformation» – der Übergang zu einer digitalen und grünen Wirtschaft – eine Vielzahl neuer Fähigkeiten, etwa in der Automatisierung oder in der Pflege, während Berufe, die durch KI ersetzt werden können, oder solche in kohlenstoffintensiven Branchen an Bedeutung verlieren. In diesem Umfeld stehen Regierungen unter Druck, ihre Arbeitsmarktpolitik neu auszurichten, um Arbeitsplatzverluste zu vermeiden und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Eine neue Studie unter Mitwirkung der HSG widmete sich der Frage, ob diese Neuausrichtung tatsächlich stattfindet und welche Massnahmen dabei im Vordergrund stehen.
Die Forschenden untersuchten dazu die politischen Entwicklungen in Dänemark, Frankreich, Deutschland und Schweden. Dabei wurden zwei zentrale Politikfelder fokussiert: Erstens die aktive Arbeitsmarktpolitik, welche Massnahmen umfasst, mit welchen Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Diese reichen von Weiterbildungsangeboten bis hin zu reinen Aktivierungsmassnahmen wie etwa Kürzungen der Unterstützungsleistungen, wenn sich Arbeitslose nicht regelmässig auf Stellen bewerben. Zweitens analysierten die Forschenden den Bereich der Erwachsenenbildung, der primär auf Menschen abzielt, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert sind. Die Studie wurde von Prof. Dr. Patrick Emmenegger und Dr. Alina Felder-Stindt von der School of Economics and Political Science der Universität St. Gallen (SEPS-HSG) zusammen mit Prof. Dr. Giuliano Bonoli von der Universität Lausanne durchgeführt und durch das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation finanziert.
Die Ergebnisse zeigen, dass es trotz Fachkräftemangel in der aktiven Arbeitsmarktpolitik keine klare Abkehr von der bisherigen «Aktivierungslogik» gibt, die hauptsächlich darauf abzielt, Arbeitslose schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, oft in geringqualifizierte Jobs. Die Ausgaben für Weiterbildungsprogramme für Arbeitslose verharren auf niedrigem Niveau oder sind sogar gesunken. Stattdessen identifizieren die Forschenden zahlreiche neue Umschulungsinitiativen im Bereich der Erwachsenenbildung, die explizit den Fachkräftemangel adressieren.
Diese Entwicklung erklären die Forschenden mit der sogenannten «Warteschlangentheorie»: Angesichts des Rückgangs der Arbeitslosenzahlen besteht die Klientel der aktiven Arbeitsmarktpolitik zunehmend aus Personen, die dem Arbeitsmarkt ferner stehen – wie etwa Immigranten mit Sprachproblemen, Alleinerziehende oder ältere Arbeitnehmer. Deren Umschulung ist aufwendiger und kostspieliger, weshalb sie in Politik und Wirtschaft auf Widerstand stossen. Regierungen und Arbeitgeber bevorzugen daher die Weiterbildung von «Insidern», also bereits Erwerbstätigen, für die es oftmals einfacher ist, die dringend benötigten Qualifikationen zu erwerben.
Diese Verschiebung hat jedoch tiefgreifende soziale Konsequenzen. Wenn Umschulungsinitiativen hauptsächlich in der Erwachsenenbildung angesiedelt sind und primär Erwerbstätige erreichen, während die aktive Arbeitsmarktpolitik weiterhin auf die Aktivierung von Sozialhilfeempfängern setzt, besteht die Gefahr einer Dualisierung des Arbeitsmarktes. Erwerbstätige könnten ihre Chancen durch Weiterbildung verbessern, während benachteiligte Gruppen den Zugang zu den benötigten neuen Fähigkeiten verlieren und weiter an den Rand gedrängt werden. Die Autoren betonen daher die Bedeutung von Brücken zwischen den Sozialleistungssystemen und der Erwachsenenbildung, um sicherzustellen, dass auch Leistungsempfänger von den Umschulungsbemühungen profitieren können. «Solche Brücken sind nicht nur aus sozialpolitischer Sicht wichtig, sondern könnten auch eine bedeutende Rolle bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels spielen», sagt Prof. Dr. Patrick Emmenegger.
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