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Hintergrund - 07.10.2025 - 15:00 

Der riskante Versuch, dem Planeten einen Preis zu geben

Was ist ein intaktes Ökosystem wert? 50 Millionen Franken? Immer mehr Unternehmen heften solche Preisschilder an ihre ökologischen und sozialen Auswirkungen, um Nachhaltigkeit messbar zu machen. Mehrere Forschende sehen diesen Ansatz jedoch kritisch.

Stellen Sie sich vor, ein grosser Schweizer Konzern veröffentlicht seinen neusten Nachhaltigkeitsbericht. Statt über reduzierte Emissionen in Tonnen oder eingespartes Wasser in Litern zu sprechen, präsentiert das Unternehmen eine einzige, beeindruckende Zahl: ein positiver gesellschaftlicher Beitrag von 50 Millionen Franken im letzten Jahr.  Immer mehr Unternehmen experimentieren mit genau diesem Ansatz der sogenannten monetären Wirkungsbewertung. 

Die Sprache des Geldes

Der Druck auf Unternehmen wächst: Investor:innen, Kund:innen und die Politik fordern nachvollziehbare Belege für nachhaltiges Wirtschaften. Hier setzt die monetäre Wirkungsbewertung an. Sie verspricht, Nachhaltigkeit direkt ins Herz des Geschäfts zu integrieren. Denn ein Geldwert ist für Manager:innen und Investor:innen leichter zu verstehen als komplexe ökologische Kennzahlen. Das schaffe laut den Befürworter:innnen dieses Ansatzes Transparenz und eine gemeinsame analytische Linse für Nachhaltigkeitsexpert:innen und Finanzentscheider:innen. Zur Umrechnung der Umweltwirkungen in Geldwerte werden in den Unternehmen aber sehr unterschiedliche Methoden angewendet, sagt Prof. Dr. Judith Ströhle vom Institut für Accounting, Controlling und Auditing der HSG. Sie hat zusammen mit anderen Forschenden kürzlich einen kritischen Kommentar zum Thema im Journal «Nature Sustainability» veröffentlicht. Häufig würden alle Umweltwirkungen so zusammengerechnet, dass am Schluss ein einziger Geldbetrag herauskommt, welcher den gesellschaftlichen Nettobeitrag des Unternehmens darstellen soll.

Welchen Wert hat ein Menschenleben?

Die Autor:innen des Kommentars identifizieren mehrere zentrale Kritikpunkte an diesem Ansatz. Die wohl grösste Sorge ist dabei ethischer Natur. Darf man allem einen Preis geben? Während die Monetarisierung von CO2-Emissionen weithin akzeptiert ist, wird es bei anderen Themen heikel. Welchen Geldwert hat ein Menschenleben, das durch Luftverschmutzung verloren geht? Oder der Fortbestand einer seltenen Tierart? Solche Bewertungen könnten auf tiefgreifende gesellschaftliche Ablehnung stossen. Es bestehe die Gefahr, dass der eigentliche, intrinsische Wert von Natur und Mensch untergraben wird, wenn er auf einen simplen Geldbetrag reduziert wird, so die Autor:innen.

Die Gefahr des «Impact-Washings»

Ein weiteres grosses Risiko sei die Manipulation der Zahlen. Wenn die Berechnungsmethoden nicht rigoros und transparent sind, können Unternehmen die Zahlen leicht zu ihren Gunsten auslegen. Die Autor:innen warnen vor sogenanntem «Impact Washing». Ausserdem sei ein einziger aggregierter Wert oft irreführend, da soziale und ökologische Kompromisse komplex und nicht einfach gegeneinander aufrechenbar sind. Zudem besteht die Sorge, dass die freiwilligen Bemühungen der Unternehmen von der eigentlichen Verantwortung der Politik ablenken. Wenn Konzerne scheinbar selbst ihre externen Kosten internalisieren, könnte der Druck auf die Regierungen sinken, verbindliche Gesetze, Steuern und Vorschriften zu erlassen, die für alle gelten.

Eine Checkliste für Unternehmen

Angesichts dieser Risiken fordern die Forschenden einen strengen, wissenschaftlich fundierten Ansatz. Anstatt die Methode pauschal abzulehnen, schlagen sie acht Leitprinzipien vor, die als eine Art Checkliste für Unternehmen und politische Entscheidungsträger:innen dienen können:

  • Ethische Erwägung: Respektieren, dass nicht alles monetarisiert werden darf.
  • Stakeholder-Einbindung: Betroffene Gemeinschaften und kritische NGOs müssen in den gesamten Prozess einbezogen werden.
  • Wesentlichkeit: Sich auf die wirklich wichtigen Auswirkungen konzentrieren, statt Ressourcen für Nebensächlichkeiten zu verschwenden.
  • Ausgewogene Standardisierung: Methoden müssen vergleichbar, aber flexibel genug für lokale Gegebenheiten sein.
  • Interne Steuerung: Die Bewertung muss primär der internen Entscheidungsfindung dienen, nicht der externen PR.
  • Transparente Methoden: Die Berechnungsgrundlagen müssen offen und nachvollziehbar sein.
  • Disaggregierte Daten: Statt eines einzigen Netto-Wertes müssen die Daten aufgeschlüsselt werden, um Nuancen und Zielkonflikte sichtbar zu machen.
  • Wissenschaftliche Strenge: Der Prozess muss methodisch sauber, selbstkritisch und lernfähig sein.

Die Autor:innen sind der Meinung, dass die Methode nicht grundsätzlich zu verteufeln sei. Wenn Unternehmen diese Kritikpunkte ernst nehmen, könne sie ihnen dabei helfen, ihre Strategien an den globalen Nachhaltigkeitszielen auszurichten. 

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