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Publikationen - 31.05.2024 - 13:00 

Decision Navigator: Wie man bessere Entscheidungen trifft

Wie treffen wir Entscheidungen in dynamischen Situationen? Forschende der ETH Zürich und der Universität St.Gallen haben die neuronalen Prozesse bei der Entscheidungsfindung analysiert und einen Ansatz entwickelt, um bessere Entscheidungen zu treffen.

Gute Entscheidungen sind wichtig. Doch selbst die klügsten Führungskräfte machen oft Fehler. So haben beispielsweise die meisten Automobilunternehmen in den späten 2000er Jahren die Nachfrage nach vollelektrischen Autos übersehen und zögerten, in diese Technologie zu investieren. So nutzte Branchenneuling Tesla die Chance und mischte den Markt auf, um 2020 zum wertvollsten Automobilunternehmen der Welt zu werden.

Laut einer aktuellen Studie verbringen Führungskräfte fast 40% ihrer Zeit mit Entscheidungen. Wenig überraschend zeigen Forschungserkenntnisse, dass die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, am stärksten mit der Effektivität von Führungskräften assoziiert wird. Gute Entscheidungen zu treffen, ist jedoch nicht einfach. Oft müssen wir in dynamischen Situationen entscheiden, wenn relevante Informationen fehlen, die Zeit knapp ist und sich das Umfeld laufend ändert. In einem kürzlich veröffentlichten Buch (auf Englisch) erforschen die Autorinnen und Autoren die neurowissenschaftlichen Grundlagen der Entscheidungsfindung. Experimente mit Führungskräften im Labor und in der Praxis legen nahe, dass unser Gehirn beim Treffen von Entscheidungen drei Schritte durchläuft.    

Erstens vereinfacht das Gehirn die Situation, indem es wenige Optionen identifiziert, häufig sind es nur zwei (Entweder-oder). Diese «binäre Voreingenommenheit» ist ein neuronaler Verarbeitungsmechanismus, der dem menschlichen Gehirn eigen ist. Diese Vereinfachung führt zu Entscheidungen, die oft als «Exploit-Explore-Dilemma» bezeichnet werden: Sollen Sie bei Ihrem derzeitigen Arbeitgeber bleiben (Exploit) oder den Arbeitsplatz wechseln (Explore)? 

Zweitens werden für jede erwogene Option Annahmen und Vorhersagen über das Ergebnis getroffen. Wenn Sie z.B. über einen Arbeitsplatzwechsel nachdenken, treffen Sie Annahmen über eine mögliche Karriereentwicklung, die damit einhergehen könnte.

Drittens wendet das Gehirn sieben Heuristiken an, also mentale Abkürzungen, um Entscheidungen zu treffen: 

  1. Je ehrgeiziger die Ziele, desto explorativer die gewählte Option. Angenommen, Sie wollten schon immer Vorstandsvorsitzender werden und es ist unwahrscheinlich, dass Sie dies in Ihrem derzeitigen Unternehmen werden, dann sind Sie eher geneigt zu wechseln. 
  2. Je mehr Möglichkeiten, desto explorativer die gewählte Option. Angenommen, Sie erhalten einen Anruf von einem Headhunter, der Ihnen eine interessante Chance anbietet, dann sind Sie vielleicht geneigt, diese zu erkunden.
  3. Je mehr verfügbare Zeit, desto explorativer die gewählte Option. Angenommen, Sie haben viel Zeit, um den Arbeitsmarkt zu erkunden, mit Headhuntern zu sprechen und Kleinanzeigen zu lesen, dann werden Sie eher dazu neigen, sich umzusehen. 
  4. Je besser eine Option mit Erwartungen oder Verhalten anderer übereinstimmt, desto wahrscheinlicher wird sie gewählt. Der soziale Kontext und die Erwartungen spielen eine Rolle. Wenn z.B. alle Ihre Kolleginnen und Kollegen gekündigt und Angebote anderer Firmen angenommen haben, sind Sie vielleicht eher geneigt, ebenfalls zu kündigen. 
  5. Eine gewählte Option entspricht wahrscheinlich Ihrer Persönlichkeit und Ihren Werten. Wenn Sie ein neugieriger, aufgeschlossener und risikofreudiger Mensch sind, werden Sie eher bereit sein, sich auf dem Arbeitsmarkt umzusehen, als wenn Sie das nicht sind.
  6. Die gewählte Option wird wahrscheinlich mit Ihren Fähigkeiten übereinstimmen. Wenn Sie z.B. glauben, dass Sie einen starken Lebenslauf haben, werden Sie eher die Option «Erkunden» wählen.
  7. Eine gewählte Option spiegelt wahrscheinlich die kognitive Leistungsfähigkeit wider. Wenn Sie sich sicher, entspannt, angeregt und inspiriert fühlen, sind Sie eher bereit, Risiken einzugehen und den Arbeitsmarkt zu erkunden.


Gehirnscans deuten darauf hin, dass diese Schritte das limbische System und das Striatum stark aktivieren. Also Teile des Gehirns, in denen Erfahrungen und kognitive Gewohnheiten gespeichert werden. Die Aktivitäten dort laufen weitgehend automatisch und unbewusst ab. Mit anderen Worten: Um herausfordernde Situationen zu deuten, nutzt unser Gehirn unbewusst frühere Erfahrungen und kognitive Voreingenommenheit.

Der «Decision Navigator» hilft, diesen Prozess bewusst und explizit zu gestalten, was zu mehr Optionen, besseren Annahmen und letztlich besseren Entscheidungen führt. Es handelt sich um einen sechsstufigen Prozess:

  1. Identifizieren Sie das Exploit-Explore-Dilemma.
  2. Entwickeln Sie mehrere Optionen. Wenn Sie denken, dass Sie mit einem Exploit-Explore-Dilemma konfrontiert sind, stehen Sie in Wirklichkeit vor einer unbegrenzten Anzahl Optionen: Sie können bei Ihrem Arbeitgeber bleiben, während Sie Abendkurse besuchen, um sich die nötigen Qualifikationen für andere Stellen anzueignen. Oder Sie könnten ein 80-Prozent-Pensum aushandeln, um an einem Tag pro Woche einer unternehmerischen Tätigkeit nachzugehen. Es gibt viele andere Kombinationsmöglichkeiten, die Flexibilität schaffen: Sie optimieren das, was Sie tun, fügen aber eine gewisse Variabilität hinzu, die es Ihnen erlaubt, neue Möglichkeiten zu entdecken. Die Forschung legt nahe, dass die Erwägung mehrerer Optionen der natürlichen Tendenz des Gehirns entgegenwirkt, Voreingenommenheit zu nutzen. 
  3. Identifizieren Sie die unbewussten Annahmen. Von welchen Zielen gehen Sie aus? Welche Möglichkeiten bieten sich? etc. Die sieben Heuristiken können als Checkliste dienen, die hilft, Annahmen zu identifizieren und zu kategorisieren. Schritt 3 ist ein Prozess des Hinterfragens: Warum glauben Sie, was Sie glauben? Durch solche Fragen werden unbewusste Annahmen explizit gemacht. Wichtig ist, dass sich dadurch die mentale Erzählung von «Ich glaube, dass es so ist» zu «Meine Annahme ist» ändert.
  4. Testen Sie kritische Hypothesen. Sobald die Annahmen explizit und bewusst sind, werden sie zu Hypothesen, die getestet werden können.
  5. Falls erforderlich, neue Optionen wählen. Das Testen von Hypothesen führt oft zu neuen Erkenntnissen und ermöglicht es, auf bisher unbekannte und bessere Optionen umzuschwenken. Schritt 5 stellt sicher, dass der Entscheidungsfindungsansatz lernorientiert ist.
  6. Entscheiden Sie.


Der «Decision Navigator» ist ein langsamer Ansatz, der sich für wichtige Entscheidungen in ungewohnten und unsicheren Situationen eignet. Durch die Entwicklung mehrerer Optionen, die Identifizierung und Prüfung von Annahmen und die Einbeziehung neuer Erkenntnisse zur Entwicklung besserer Optionen werden die Ergebnisse von Entscheidungen erheblich verbessert. Der Ansatz ist sogar noch effektiver, wenn er in Teams angewandt wird, da diese dazu neigen, mehr Optionen in Betracht zu ziehen und bessere Vorhersagen zu treffen als Einzelpersonen. Vor allem aber hilft er Führungskräften, anpassungsfähige Organisationen zu schaffen, in denen die Mitarbeitenden Entscheidungen als Optionen und Hypothesen betrachten. Entscheidungen, die nicht zu den erwarteten Ergebnissen führen, werden daher nicht stigmatisiert, sondern als Experimente oder als Schritte auf dem richtigen Weg betrachtet.

Das Buch «Super Deciders», in dem dieser Ansatz im Detail beschrieben ist, erschien kürzlich bei Wiley.

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