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Leute - 16.08.2021 - 00:00 

«Als Band sind wir auch ein Start-up»

Was können Unternehmen von der Musik- oder Filmbranche lernen? Wie sind kreative Industrien organisiert? Diese Fragen stellt sich Andreas Schwendener in seiner Dissertation. Der Betriebswirtschafter forscht am Institut für Systemisches Management und Public Governance. Der 30-Jährige ist zudem seit drei Jahren als Schlagzeuger mit der St.Galler Elektropop-Band «WE ARE AVA» kreativ unterwegs.

16. August 2021. Bei Andreas Schwendener fliessen Wissenschaft und Kunst ineinander: Er forscht zu kreativen Industrien, namentlich der Musikindustrie, und hat als Musiker selbst Einblick in ebendiese Welt. Zusammen mit Kim Lemmenmeier und Nicola Holenstein bildet er die Band «WE ARE AVA».  

Die Band als Business

Das erste Mal zusammen Musik gemacht haben Andreas Schwendener, Kim Lemmenmeier und Nicola Holenstein 2018 an einer Jamsession, organisiert vom HSG-Musikverein Amplify. Die Session verlief so stimmig, dass die drei beschlossen, eine Woche Auszeit in einem Bauernhaus zu nehmen und gemeinsam Musik zu machen. Die Bandmitglieder haben alle Betriebswirtschaft studiert. Dies komme ihnen auch zugute, sowohl bei der Buchhaltung, beim Marketing oder bei der Organisation. Sie würden ständig reflektieren, wie sie sich als Band organisieren möchten, so Andreas Schwendener. Für die Vermarktung der eigenen Musik investieren sie viel Energie und Zeit. Zeit und Energie, die sie zwar lieber für Musik nutzen würden. Doch das Musikbusiness funktioniert nicht mehr ohne Eigenwerbung und Präsenz auf Social Media. «Es hat auch seinen Reiz, selbst die T-Shirts der Band zu gestalten oder eigene Videos zu produzieren. Das ist auch ein kreativer Prozess», sagt Schwendener.

Auftritte an Konzerten – ein Knochenjob

Zusammen mit dem Tourbus von Konzert zu Konzert reisen und den Rockstar-Glamour geniessen – Vorstellung und Realität klaffen im Musikbusiness stark auseinander. Wer heute als Musiker:in erfolgreich sein will, muss gut vernetzt sein und sich vermarkten können. «Wenn wir als Band etwas gelernt haben: Wir sind eine Art Firma, ein Start-up», so Schwendener. «Die Rockstar-Welt, in der man zusammen Musik macht und mit etwas Glück an Aufträge rankommt, gibt es leider nicht.» Es sei ein Knochenjob, als junge Band an Konzerten auftreten zu können und öffentliche Aufmerksamkeit zu generieren. Sich als Band zu vermarkten, bedeute viel Administration, zahlreiche E-Mails täglich und regelmässige Kommunikation zwischen den Bandmitgliedern.  

In Netzwerken arbeiten

In seiner Dissertation untersucht Andreas Schwendener die Gemeinsamkeiten zwischen der Musik- und Filmindustrie: Wie organisieren sich Musik- und Filmindustrie? Kann man aus kreativen Industrien Rückschlüsse schliessen für die Zusammenarbeit in klassischen Unternehmen? Forschung zur Musikindustrie, wie sie funktioniert und wie sie organisiert ist, ist noch rar. Die Musikindustrie sei in Netzwerken organisiert, so Schwendener. Ähnlich wie beim Film organisieren sich die Beteiligten rund um bestimmte Projekte und kümmern sich um die Kernbereiche Business, Kreativität, Label, Produktion, Grafik und Text. Mit seiner Band «WE ARE AVA» lernt der Schlagzeuger die Musikindustrie hautnah kennen. Er müsse aber auch immer wieder mit aussenstehenden Personen diskutieren, um in seiner Forschung den neutralen Blick wahren zu können. Einschätzungen von einem anderen Standpunkt, zum Beispiel von jemandem aus der Gesundheitsbranche, seien sehr bereichernd für seine Forschung zur Musikindustrie.

Realität ist kein Modell

Überhaupt schätzt der Doktorand das interdisziplinäre Arbeiten. Sein Masterstudium «Management, Organisation und Kultur» prägte ihn diesbezüglich. Studierende hatten unterschiedlichste Disziplinen wie Ethnologie, Philosophie oder Betriebswirtschaftslehre als Hintergrund. «So kann die Welt ganzheitlicher verstanden werden. Mehr Meinungen und unterschiedliche Perspektiven werden der Komplexität eher gerecht. Es ist bereichernd, wenn ein Philosoph mitdiskutiert, auch wenn das anstrengender sein kann», sagt Schwendener. Die Realität sei schliesslich auch kein Modell, das in Erfolgsschritten und Stärke-Schwäche-Analysen aufgebaut sei. Bewusst geworden sei ihm das besonders während seiner Arbeit auf einer Bank oder in einer Reha-Klinik. Management bedeute für ihn Diskussion und Diskurs: Wie arbeiten wir zusammen? Wieso in dieser Form und nicht anders? Wieviel Hierarchie braucht es in einem Unternehmen? Leben alte Strukturen unter der Oberfläche von Holokratie, also einer Organisation ohne klassische Hierarchien, trotzdem fort?

Erstes Album während Corona entstanden

Andreas Schwendener feiert dieses Jahr seinen 30. Geburtstag und macht seit rund 20 Jahren Musik. «Mit 10 Jahren habe ich angefangen Schlagzeug zu spielen, zuvor habe ich auf Pfannendeckeln rumgeschlagen», so Schwendener lachend. Letztes Jahr fielen alle geplanten Auftritte der Pandemie zum Opfer. Liveauftritte am Openair St.Gallen, Lumnezia und Quellrock wären auf dem Programm gestanden. «Erst sind wir in ein Loch gefallen», sagt Schwendener. Doch die Band nutzte die Zeit, um ihr erstes Album aufzunehmen: Nach 60 Tagen im Studio ist Inner Gardening entstanden. Ohne Ablenkung von Liveauftritten oder Interviews hatte die Band während Corona viel Zeit für Kreativität, um neue Musik zu entwickeln.

Am 10. September 2021 erscheint das Album von «WE ARE AVA». Die Plattentaufe findet am 17. September in der Grabenhalle St.Gallen statt. Weitere Infos und Musik: www.weareava.ch

Text: Sabrina Rohner

Foto: Kasimir Höhener

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