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Leute - 11.10.2019 - 00:00 

Zur Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke: Die Literatur und das Management

Peter Handke (*1942) erhielt am 10. Oktober 2019 den Nobelpreis für Literatur. In seinem Werk beschäftigt er sich seit den 1960er-Jahren intensiv mit der Rolle der Sprache als Mittel der Verständigung in Gesellschaft und Kunst. Von Serge Honegger.

11. Oktober 2019. An der Universität St.Gallen wurde Peter Handkes Werk unlängst im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts analysiert. Dabei ging es um die Frage, auf welche Weise Sprache und Schrift Handlungen steuern. Wie das Management als kommunikativer Diskurs begriffen werden kann, so möchten Autorinnen und Autoren mit literarischen Texten Wirkung erzielen. Sie lenken die Wahrnehmungen jener, die sich mit ihren Texten beschäftigen und ihnen Autorität zuschreiben.

Peter Handkes Werk

Peter Handkes Werk zeichnet sich durch einen extrem hohen Reflexionsgrad aus. Immer wieder thematisiert er in seinen Romanen, Dramentexten und Gedichten die ambivalente Wirkung sprachlicher Mitteilungen. Das Management, das mit Sprache betrieben werden kann, reicht in seiner Perspektive von der Gewalt bis hin zum ästhetischen Spiel mit Mehrdeutigkeiten. Insbesondere in den Theaterstücken Handkes lässt sich ein verändertes Verständnis von Führung und «Leadership» ablesen. Dies spiegelt sich auch in heutigen unternehmerischen Organisationsformen. Ein solches «postmodernes» Führungsverständnis verabschiedet sich von tendenziell hierarchisch strukturierten Organisationsprinzipien. Planbarkeits- und Kontrollvorstellungen weichen einem produktiven Umgang mit dem Spannungsfeld von «Vorschreiben» und «Offenlassen».

Sprachabhängigkeit von Praktiken der Führung

In meiner 2018 an der Universität St.Gallen entstandenen Dissertation («Lenkung und Ablenkung») wird am Beispiel von Handkes Werk zum einen auf die fundamentale Sprachabhängigkeit von Praktiken der Führung aufmerksam gemacht. Zum anderen geht es um die Ambivalenzen jeglicher Steuerungsvorgänge. Zum literarischen Darstellungsgegenstand wird dieses Phänomen beispielsweise in Handkes nur aus Regiebemerkungen bestehenden Theaterstücken «Das Mündel will Vormund sein» (1969) und «Die Stunde da wir nichts voneinander wussten» (1992). Jene, die lenken, müssen realisieren, dass in Wahrheit nicht sie es sind, die am Steuerruder sitzen, sondern jene, die ihre Befehle empfangen. Und dass man das Ergebnis einer Handlung niemals eindeutig vorhersagen kann, macht Handke immer wieder auf lustvolle Weise im Spiel mit orakelhaften Mehrdeutigkeiten seiner literarischen Texte deutlich.

Solche Effekte lassen sich aber nicht nur in der Literatur beobachten. Sie sind in sämtlichen Konzept- und Strategiepapieren sowie in allen planerischen Vorgängen wirksam. Die Ergebnisse jedes Zukunftsentwurfs werden erst durch die Ereignisse determiniert, die wir dann als «Realität» bezeichnen.

Wie ein Unternehmen zu führen und Management zu betreiben ist, kann man aus dem Werk Handkes nicht herauslesen. Dafür vermögen seine Texte Licht auf die blinden Flecken werfen, die die Sicht jener trüben, die sich an Leitungspositionen befinden. Und dazu gehören AutorenInnen, RegisseurInnen und DirigentInnen genauso, wie all jene Frauen und Männer, die leitende Positionen in Wirtschaft, Politik und Bildung innehaben.


Serge Honegger arbeitete als Dramaturg für das Opernhaus Zürich, das Theater St.Gallen und die Staatsoper unter den Linden. An der Universität St.Gallen doktorierte er 2018 bei Prof. Dr. Ulrike Landfester und Prof. Dr. Jörg Metelmann mit einer Arbeit zu Regiebemerkungen der Postmoderne («Lenkung und Ablenkung», Schwabe Verlag). Heute ist er in der Kommunikations- und Managementberatung tätig und leitet die Agentur All Might Change in London, ein HSG Spin-Off.

Bild: Keystone / Julien de Rosa

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