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Forschung - 21.07.2025 - 10:00 

Neuer Forschungsansatz zu kulturellen Unterschieden zwischen Regionen

Der Volksmund sagt «Andere Länder andere Sitten». Doch kulturelle Unterschiede existieren nicht nur zwischen Ländern, sondern auch zwischen Regionen innerhalb eines Landes. Die Wissenschaft spricht hier von «Regional Cultural Differences». Die sind wichtig, weil sie Erklärungen etwa für die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung von Regionen liefern können. HSG-Professor Tobias Ebert treibt diesen neuen, interdisziplinären Forschungsansatz voran.
Source: HSG Newsroom
Neuer Forschungsansatz zu kulturellen Differenzen von Regionen

Wer schon einmal von Norddeutschland nach Süditalien oder von Polen nach Portugal gereist ist, spürt es sofort: Menschen verhalten sich je nach Region unterschiedlich. Mal sind sie offener, mal zurückhaltender, mal traditionsverbundener, mal innovationsfreudiger. Solche kulturellen Unterschiede zwischen Regionen sind nicht nur unterhaltsam oder anekdotisch interessant, sondern haben gesellschaftliche Relevanz. Sie betreffen Fragen wie: Warum entwickeln sich manche Regionen wirtschaftlich dynamischer als andere? Wo fühlen sich Menschen besonders wohl – und warum? Politisch wird die Bedeutung regionaler Kulturen inzwischen offiziell anerkannt. Die Europäische Union beispielsweise betont in ihrer „New European Agenda for Culture“ die herausgehobene Rolle von Regionalkulturen explizit und hat deren Erhalt und Entwicklung zu einem ihrer Ziele erklärt.

Kulturelle Unterschiede wissenschaftlich erfassen

Doch so selbstverständlich die Existenz regionaler Kulturen erscheinen mag, so schwierig war es lange Zeit, sie wissenschaftlich zu erfassen. Denn Kultur ist per Definition ein schwer greifbares, komplexes Konzept, das sich nicht einfach messen lässt. In den letzten Jahren hat sich das verändert. Angetrieben von neuen Methoden und einer engen Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen, wie Psychologie, Ökonomie, Geographie und Data Science, gelingt es immer besser, kulturelle Unterschiede zwischen Regionen auch empirisch sichtbar zu machen.

Auf Basis gross-angelegter Untersuchungen, zeigt diese neue Forschung, dass sich Regionen darin unterscheiden, wie häufig bestimmte psychologische Merkmale in der Bevölkerung vorkommen. Solche Unterschiede lassen sich nicht nur kartografisch darstellen, sondern auch in Beziehung zu gesellschaftlichen Entwicklungen setzen. So zeigt die Forschung etwa, dass in psychologisch offenen Regionen, wo Personen Neuem eher aufgeschlossen gegenüberstehen, häufiger Unternehmen gegründet werden.

Ein neues interdisziplinäres Forschungsfeld

In der jüngeren Vergangenheit haben sich daher verschiedene Disziplinen auf den Weg gemacht, Regionalkulturen quantitativ zu erfassen, um deren Ursachen und Wirkungen zu untersuchen. Denn obgleich dieses neuartige Forschungsfeld spannende Einblicke liefert, war der Austausch zwischen den beteiligten Disziplinen bislang noch gering. Viele Forschende arbeiteten isoliert, nutzten unterschiedliche Methoden. Bisher fehlte eine gemeinsame Plattform für den Austausch. Aber genau hier, in der Vernetzung der Perspektiven, liegt grosses Potenzial, um die Rolle regionaler Kultur für unsere Gesellschaften besser zu verstehen.

«Regional Cultural Differences Conference» 2025

Dem Ziel, genau dieses Potenzial zu mobilisieren, widmet sich Prof. Tobias Ebert vom Institute of Behavioral Science and Technology an der Universität St.Gallen (HSG-IBT). Gemeinsam mit Prof. Friedrich Götz (University of British Columbia) hat er vor drei Jahren die neue Konferenzreihe initiiert. Nach der Premiere 2022 in Barcelona fand kürzlich die zweite Ausgabe in Vancouver statt, organisiert in Kooperation mit Prof. Eric Hehman (McGill University). Gemeinsam konnten die Veranstalter einen Connection Grant des kanadischen Social Sciences and Humanities Research Council einwerben. So kamen über 50 Forschende aus verschiedenen Disziplinen und Regionen zusammen und präsentierten aktuelle Arbeiten zu Regionalkulturen. Das Programm umfasste Themen von den Ursachen bis zu den gesellschaftlichen Folgen regionaler kultureller Unterschiede.

Weizen, Reis und Innovationen

Ein Beispiel für Ursachen regionaler kultureller Unterschiede lieferte Thomas Talhelm, Professor für Behavioral Science an der Chicago Booth School of Business. Er zeigte auf, wie sich historische Unterschiede in der Landwirtschaft – etwa ob traditionell Weizen oder Reis angebaut wurde – noch heute in den kulturellen Mustern verschiedener Regionen Chinas niederschlagen. Dabei zeigte sich das stärkere Zusammengehörigkeitsgefühl in Reisanbauregionen im Vergleich zu Weizenanbauregionen.

Martin Obschonka, Professor für Entrepreneurship an der Amsterdam Business School, präsentierte Forschung dazu, wie regionale Unterschiede in psychologischer Offenheit helfen, die Entstehung und Verbreitung von Innovationen vorherzusagen.

Neben Organisator Professor Tobias Ebert, war die Universität St.Gallen durch Dr. Ruben Laukenmann mit einem Vortrag zu regionalen rassistischen Vorurteilen in den USA und deren Konsequenzen vertreten. HSG-Doktorand Michael Ohlinger hielt einen Vortrag zum Zusammenspiel von Persönlichkeit und Wohnortwahl.

Normen und regionale Entwicklungen

Ein Höhepunkt des Programms waren die Keynotes international führender Wissenschaftlerinnen wie Michele Gelfand, Professorin für Organizational Behavior an der Stanford Graduate School of Business. Sie sprach darüber, wie sich die Entwicklung von Regionen danach unterscheidet, ob soziale Normen in einer Gesellschaft eher streng oder locker gehandhabt werden. Dabei zeigte sich, dass besonders erfolgreiche Regionen ihren Normen kontextsensitiv anpassen können.

Nathan Nunn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of British Columbia, präsentierte Feldstudien aus Afrika, die eindrucksvoll darlegen, wie tief verankerte kulturelle Normen zur (Nicht-)Befolgung von Regeln wirtschaftliches Verhalten prägen.

Den Abschluss bildete die Keynote von Sandra Matz, Professorin für Business an der Columbia Business School, die anhand digitaler Verhaltensdaten – etwa aus Twitter – aufzeigte, wie populistische Botschaften eher in Regionen verfangen, in denen Personen unzufrieden sind und mehr negative Emotionen verspüren.

Die erfolgreiche Veranstaltungsreihe soll im Zweijahresrhythmus fortgesetzt werden. Für die nächste Ausgabe ist St.Gallen als Austragungsort im Gespräch.

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