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Meinungen - 05.10.2016 - 00:00 

US-Wahl 2016: Vier wesentliche Aufgaben für eine kohärente Aussenpolitik

Der nächste Präsident oder die nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird eine Vielzahl aussenpolitischer Entscheidungen zu treffen haben. Ein Meinungsbeitrag von James W. Davis.

6. Oktober 2016. Obwohl es nur noch wenige Wochen bis zu den Wahlen sind, bleibt der aussenpolitische Standpunkt des republikanischen Kandidaten weiterhin ein Rätsel. Manchmal scheint er eine Art von Neo-Isolationismus zu bevorzugen und ruft die USA auf, aus sämtlichen Bündnissen auszutreten, langjährige vertragliche Verpflichtungen zu brechen und sich hinter einer Mauer zu verstecken.

Er deutet damit an, dass die USA es sich leisten können, der Welt gegenüber gleichgültig zu sein und einen eigenen Weg einzuschlagen. ISIS? Dieses Problem Russland überlassen? Russland? Wird Deutschland überlassen. Manchmal fordert er aber wiederum, dass die USA den globalen Rowdy spielen soll. Er befürwortet die Folter von Kriegsgefangenen, das Plündern der Ressourcen von Ländern, deren Diktatoren wir gestürzt haben und, was besonders bedenklich ist, den Einsatz von Nuklearwaffen gegen ISIS und Nordkorea.

Eine kohärente Aussenpolitik

Macht es einen Unterschied, ob ein Präsident eine kohärente Aussenpolitik verfolgt? Die geographische Lage der USA – weit weg von den meisten Konfliktherden der Welt – verleitet viele US-Amerikaner zu der Ansicht, eine kohärente Aussenpolitik sei nicht notwendig. Aber als gegenwärtig im Ausland lebender US-Amerikaner bin ich vom Gegenteil überzeugt. Wenn man die Welt von ausserhalb der Vereinigten Staaten betrachtet, wird schnell klar, dass die USA zwar nicht alle Probleme der Welt lösen können, sich aber ohne Führung durch die USA nicht viel verändert. Und wenn sich nichts verändert, werden US-Amerikaner darunter leiden.

In Vorbereitung für die letzten Debatten konzentrieren sich die US-Amerikaner mit Recht auf den zukünftigen Wohlstand und die Sicherheit des Landes. Diese beiden Ziele sind natürlich eng miteinander verbunden. Tatsächlich können die USA nur Sicherheit bieten, wenn die Wirtschaft floriert. Aber die breite Masse kann nicht in Wohlstand leben, wenn die USA einer Welt voll Konflikten und Instabilität gegenüberstehen. Weil der heimische Wohlstand von einem zuträglichen internationalen Umfeld abhängt, sind die persönlichen Interessen jedes US-Amerikaners – sowohl die Interessen der Reichen als auch die der Arbeiterklasse – direkt von der Aussenpolitik des Präsidenten betroffen. Das gilt heute noch mehr als vor vier oder acht Jahren.

Die internationale Ordnung zusammenhalten

Die internationale Ordnung, die die USA nach dem 2. Weltkrieg aufgebaut haben und die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erweitert wurde, hatte eine beispiellose Phase der internationalen Zusammenarbeit und des wirtschaftlichen Wachstums sowohl im In- als auch im Ausland zur Folge. Die Vereinigten Staaten haben ein Netzwerk internationaler Institutionen aufgebaut, um diese Ordnung zu fördern, die auf den Prinzipien des freien Marktes und der gemeinsamen Verteidigung basiert. Heute jedoch beginnt diese Ordnung zu zerfallen. Sie beizubehalten sollte für den Gewinner oder die Gewinnerin der Wahlen am 8. November oberste Priorität haben. Dadurch ergeben sich vier Hauptaufgaben:

1. Den weltweiten Konsens für freie Märkte auf Grundlage des fairen Zugangs wieder aufbauen. Protektionistische Rhetorik ist weltweit im Vormarsch und bedroht die wirtschaftlichen Aussichten für US-amerikanische Arbeiter und Konsumenten. Wenn sich Märkte aufgrund von nationalen Bevorzugungen und unfairen Handelsbeschränkungen abschotten, leiden US-amerikanische Exporte, US-amerikanische Arbeiter verlieren ihre Arbeit und US-amerikanische Konsumenten zahlen schliesslich höhere Preise für eine geringere Auswahl an Waren.

2. Europa wiederbeleben. Europa und die USA unterhalten die umfangreichsten Handels- und Investitionsbeziehungen der Welt und Europäer kämpfen Schulter an Schulter mit US-Amerikanern in Konflikten von Afghanistan bis Syrien. Aber durch die gegenwärtige Schuldenkrise, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, den Brexit und die Aneignung der Krim durch Russland, scheint Europa das Vertrauen in seine Fähigkeit, gemeinsam seine wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Angelegenheiten regeln zu können, verloren zu haben. Ein starkes und selbstbewusstes Europa ist ein Europa, das sich eigenständig gegen weitere Angriffe Russlands stellen kann, Stabilität nach Afrika und in den Nahen Osten bringen und einen Konsens für freie Märkte herstellen kann.

3. Neukonzipierung des Nahen Ostens. Der Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, der Wettkampf zwischen Persern, Arabern und Türken um die regionale Vormachtstellung, der Zusammenbruch des Irak und Syriens, die Entstehung eines quasi-unabhängigen Kurdistan, die Machtdemonstrationen Russlands und die neue Generation in der Führung Israels und Palästinas, die weniger Wert auf eine Beilegung des Konfliktes durch Verhandlungen legt, machen eine grundlegende Neukonzipierung des Nahen Ostens notwendig. Um jahrzehntelangen Krieg, wirtschaftliche Instabilität und humanitäre Krisen zu verhindern, muss die USA wohl in Zukunft die Suche nach neuen Prinzipien regionaler Ordnung anführen und dabei helfen, ein regionales Gleichgewicht der Kräfte aufzubauen, das diese Ordnung stützt.

4. Unsere asiatischen Partner unterstützen und den chinesischen Ambitionen, die Regeln des Spiels zu ändern, die Stirn bieten. Mit einer schnell wachsenden Wirtschaft und Bevölkerung ist Asien weiterhin der Markt der Zukunft. Nirgendwo ist der Wohlstand enger mit der Sicherheit der USA verknüpft. Unseren asiatischen Verbündeten zu versichern, dass wir weiterhin an unserer Verpflichtung zur gemeinsamen Verteidigung festhalten, stützt im Schatten eines aufstrebenden Chinas sowohl politische als auch wirtschaftliche Stabilität. Gleichzeitig sollten wir gegenüber Beijing klar kommunizieren, dass China mehr von einem Einhalten der Regeln profitieren wird als davon, als Reaktion auf ein langsameres Wirtschaftswachstum, das sich einem nachhaltigen Niveau anpasst, den Nationalismus zu schüren.

«Gemeinsam sind wir stark»

In Vorbereitung auf die Wahl des Inhabers des höchsten Amtes im Land sollte sich jeder US-Amerikaner fragen, wem er zutraut, eine Welt zu schaffen, in der er in Sicherheit und Wohlstand leben kann. Können die USA grossartig sein, indem sie ihren eigenen Weg in einer Welt der geschlossenen Märkte, der Unsicherheit in Europa und dem Nahen Osten gehen und in der unsere Partner in Asien in Angst vor einem nationalistischen China leben? Oder entspricht es eher unseren Zielen, wenn die Führung Amerikas sich dem Prinzip des «gemeinsam sind wir stark» verschrieben hat?

James W. Davis ist Professor für Internationale Politik und Dekan der School of Economics and Political Science.

Eine erste Version dieses Artikels wurde am 26. September 2016 in der Zeitschrift Forbes veröffentlicht.

Foto: REHvolution.de / photocase.de

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