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Meinungen - 09.11.2016 - 00:00 

Zerrissene Nation: Mit Trump aufgewacht

Donald J. Trump gewinnt aller Prognosen zum Trotz die Wahl zum 45. Präsidenten der USA und ruft zur nationalen Einheit auf. Angesichts der polarisierten Politlandschaft und den klaffenden Gräben in der Gesellschaft wird sich diese nicht so schnell einstellen. Ein Meinungsbeitrag von Dr. Claudia Franziska Brühwiler.

Am Vorabend zur Präsidentschaftswahl jährte sich zum 100. Mal die Wahl der ersten Frau ins amerikanische Repräsentantenhaus. Jeannette Rankin, eine Frauenrechtlerin aus Montana, meinte, sie sei zwar die erste, werde aber beileibe nicht die letzte Frau sein, die in den Kongress ziehen werde. Viele hätten dieses Jubiläum gerne damit gefeiert, auf die erste Madam President anzustossen und ihren Töchtern zu sagen, sie bräuchten nicht mehr mit President Barbie zu spielen – jetzt wäre die höchste gläserne Decke tatsächlich zersplittert.

Überraschung nach turbulenter Kampagnenzeit

Nach einem Wahlkampf, der alle negativen Beschreibungen von «bitter» bis «Schlammschlacht» ausschöpfte, blickten Clinton-AnhängerInnen respektive Trump-GegnerInnen hoffnungsfroh auf den entscheidenden Urnengang: Sämtliche Umfragen sahen Hillary Clinton vorn, gestanden ihr eine Gewinnchance von 70 Prozent zu. Fraglich schien einzig, wie Donald Trump auf seine scheinbar unabwendbare Niederlage reagieren würde. Und nun ist es nicht er, der zum Hörer greifen und der Gegenseite gratulieren musste, sondern Clinton. Am Ende gewann er 290 Wahlfrauen und Wahlmänner – 270 reichten bereits zum Sieg. Dieser Triumph wirft mehr Fragen auf, denn dass er einen Schlussstrich unter die turbulente Kampagnenzeit zieht.

Die Fragen richten sich an mehrere Lager: an die Industrie der Umfrageinstitute, die allesamt falsch lagen und nun darüber rätseln, ob die Befragten sich oft nicht als Trump-Wähler zu erkennen geben wollten; an die Demokratische Partei und ihre Vertreter, die ausserstande waren, die Ängste der «weissen Arbeiterklasse», des Gros der gegnerischen Wählerschaft, ernst zu nehmen und aufzufangen; an die Republikanische Partei, deren altes Rezept aus Konservatismus gepaart mit libertärer Wirtschaftspolitik von ihrem eigenen Erfolgskandidaten abgelehnt wird. Und auch an den triumphierenden Bauunternehmer und Neo-Politiker selbst, von dessen vielen Versprechungen zahlreiche als nicht umsetzbar gelten.

Zerrissenheit überwinden

«Wir sind alle Föderalisten, wir sind alle Republikaner,» rief Thomas Jefferson die Bevölkerung nach seiner Wahl zum 3. Präsidenten der USA auf – es zähle vielmehr, was das Land eine, denn was die Parteien entzweie. Er hatte sich 1800 einem der schmutzigsten Wahlkämpfe der amerikanischen Geschichte gestellt. Nun ruft der 45. Präsident ebenfalls dazu auf, «the wounds of division» , die Wunden der Zwietracht zu heilen und als Nation zusammenzustehen. Wie schnell sich die «bad hombres» und «Miss Piggys» des Landes dazu durchringen können, bleibt abzuwarten.

Dr. rer. publ. Claudia Franziska Brühwiler ist Staatswissenschaftlerin mit Schwerpunkt American Studies.

Bild: Delphotostock / Fotolia.com

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