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Meinungen - 29.01.2016 - 00:00 

Digitale Arbeit als (R)Evolution

Die Digitalisierung der Arbeit löst neue und teilweise radikale Veränderungen aus. Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Jan Marco Leimeister zeigt auf, was wir tun können – oder müssen – , um den Veränderungen zu entgegnen und gleichzeitig die Möglichkeiten zu nutzen.

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29. Januar 2016. Unser Leben wird immer stärker von digitalen Technologien beeinflusst. Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser Leben mit nie gekannter Geschwindigkeit – und damit unter anderem auch die Art, wie wir Arbeiten bzw. wie Unternehmen ihre Arbeits- und Leistungserstellungsprozesse organisieren. Wir können uns mittlerweile die Durchführung jeglicher Tätigkeiten nicht ohne die Unterstützung digitaler Technologien vorstellen.

Digitale Technologien sind nicht mehr wegzudenken
Viel imposanter ist jedoch die Tatsache, dass heutzutage eine Vielzahl von Tätigkeiten ohne digitale Technologien nicht denk- oder durchführbar sind. Im letzteren Fall reden wir von digitaler Arbeit und verstehen darunter alle zielgerichteten Tätigkeiten zur Erstellung von Leistungen oder Gütern unter signifikantem Einsatz von digitalen Arbeitsmitteln. Digitale Arbeit wird in nahezu allen Branchen und Bereichen durchgeführt und ebnet den Weg zur Erschliessung großer Potenziale im Hinblick auf Flexibilisierung sowie Prozess- und Kostenoptimierung. So können Unternehmen beispielsweise in Zeiten hoher Nachfrage mithilfe digitaler Technologien auf unternehmensexterne Ressourcen gezielt zugreifen und hierbei die Fähigkeiten und das Wissen solcher externen Akteure nutzen.

Bereits heute verlagern beispielsweise führende Softwareunternehmen wie IBM und Microsoft systematisch Jobs auf internetbasierte Plattformen, um Effizienz und Effektivität ihrer IT-Entwicklungsprozesse zu steigern. Aus unternehmerischer Sicht verlagert sich hierbei die Wertschöpfung von klassischen Make-or-Buy-Entscheidungen hin zu Management und Integration global verteilter Ressourcen. Hierdurch wird klar, dass die Digitalisierung der Arbeit Auslöser und Begleiter neuer Entwicklungen und teilweise radikaler Veränderungen ist. Doch was können – oder müssen – wir tun, um den Veränderungen zu entgegnen und gleichzeitig die Möglichkeiten zu nutzen?

Schritt 1: Die Bedeutung der Digitalisierung von Arbeit «verstehen»

Zunächst gilt es die weitreichenden Implikationen der Digitalisierung zu verstehen. In erster Linie eröffnen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) neuartige Freiheitsgrade in Bezug auf die Planung, Steuerung- und Kontrolle von Arbeitsprozessen: Unternehmen können beispielsweise Arbeitsprozesse in Echtzeit steuern, projekt- und aufgabenorientiert auf das Internet und soziale Medien zurückgreifen oder Leistungen standortverteilt, mobil und zeitunabhängig erstellen. Dies ist nur dadurch realisierbar, weil IKT die Zerlegung, Verteilung, Parallelisierung und Standardisierung sowie anschließende Aggregation von (Teil-)Aufgaben ermöglichen.

Eine weitere Möglichkeit stellt die partielle Automatisierung von Arbeitsprozessen dar, was dazu führt, dass sowohl Menschen als auch Maschinen für die Leistungserstellung notwendig sind. Nicht zu verachten sind in diesem Zusammenhang auch die Entwicklungen in Bezug auf die künstliche Intelligenz und die Möglichkeit der Maschinen «zu lernen», wodurch Arbeitsprozesse nicht nur partiell sondern vollständig automatisiert werden können. Es wird ersichtlich, dass digitale Technologien einen immer stärkeren Einzug in die Leistungserstellungsprozesse von Unternehmen erfahren werden. Eine viel wichtigere Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist aber, dass derartige Entwicklungen gänzlich neuartige Arbeitsorganisationsformen bedingen. Ein Beispiel hierfür ist das so genannte «Crowd Work», wobei Unternehmen Aufgaben über das Internet an eine undefinierte Menge von potentiell Mitwirkenden («Crowd» bzw. «Crowd Worker») auslagern. Unternehmen müssen aber erst einmal lernen, mit solchen digitalen Arbeitsformen umzugehen und die dadurch ermöglichten Potenziale verstehen.

Schritt 2: Die Chancen digitaler Arbeit nutzen

Digitale Arbeitsorganisationsformen wie «Crowd Work» ermöglichen beeindruckende Ergebnisse. Sie reichen von sehr schnellen Leistungen (bspw. das Übersetzen eines komplexen Texts in wenigen Stunden), bisher nie gekannten Leistungen (bspw. die Kartographie von Planeten, die Entwicklung von Software und Systemen oder die Schaffung von Wissensbasen wie Wikipedia) bis hin zu Lösungen für wissenschaftlich oder gesellschaftlich relevante Fragestellungen (bspw. die Erfassung komplexer Proteinstrukturen).

Für Unternehmen bietet die Digitalisierung der Arbeit weitreichende Möglichkeiten, unter anderem: schnellere Entwicklungszyklen durch Vernetzung mit weltweit verteilten Kompetenzen, flexiblere Organisationsstrukturen durch Kooperation und Vernetzung innerhalb der Wertschöpfungskette, Entstehung neuer Geschäftsbereiche wie beispielsweise Cloud Computing und Analytics rund um die Watson-Technologie, etc. Gleichermassen können auch Arbeitnehmer von der Digitalisierung profitieren. Eine höhere Selbstbestimmung und Flexibilität entsteht bspw. durch die Möglichkeit, über das Internet Arbeitsaufträge aus aller Welt entgegenzunehmen und auch die Arbeitszeiten, das Arbeitspensum und die Aufgabenbereiche den persönlichen Bedürfnissen nach flexibel einzurichten. Damit erleichtert die Digitalisierung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Zugang zu neuen Branchen und Beschäftigungsmöglichkeiten.

Schritt 3: Leistungserstellungsprozesse, Arbeitskonzepte und Berufsbilder «anpassen»

Naturgemäß gehen mit der zunehmen Digitalisierung aber auch diverse Herausforderungen einher. Aufwendige Massnahmen zur Schaffung passender Anreizstrukturen für (global) verteilte Arbeitskräfte, Gefahr des Abflusses von internem Know-how oder die Unzulänglichkeiten aktueller Steuerungs- und Kontrollmechanismen zum Management interaktiver Wertschöpfungsketten sind einige Beispiele hierfür. Unternehmen stehen also vor der Herausforderung, ihre Arbeitsprozesse zu überdenken – der Druck dahingehend wächst stetig, insbesondere weil hiesige Unternehmen nicht nur mit lokalen, sondern globalen Konkurrenten im Wettbewerb stehen.

Durch die Standardisierung und Automatisierung kann auf Seiten der Arbeitnehmer eine Polarisierung der Beschäftigung entstehen. Die Nachfrage nach sowohl repetitiven, weniger komplexen digitalen Arbeitstätigkeiten als auch – im Gegensatz dazu – hochspezialisierten, wissensintensiven und dispositiven Aufgaben kann zunehmen, während mittelschwere Aufgabenbereiche zurückgehen können. Arbeitskräfte können sich hierbei dann entweder auf bestimmte Bereiche «hyperspezialisieren» oder im dispositiven Bereich tätig sein. Dadurch entstehen letztendlich auch neue Berufsbilder, die auch eine Anpassung in Bezug auf die (schulische/berufliche) Ausbildung erforderlich macht.

Es ist also erforderlich, die Menschen auf diese Veränderung vorzubereiten und sie mitzunehmen. Dies ist zwingend notwendig, um «gute Spielregeln» für die digitale Arbeit der Zukunft zu schaffen und damit wettbewerbsfähige und sozial wünschenswerte Konzepte zu ermöglichen. Egal ob wir die Digitalisierung der Arbeit als Evolution oder Revolution betrachten: In beiden Szenarien gilt es, alte Strukturen zu überdenken und an die neuen Herausforderungen anzupassen – vor allem vor dem Hintergrund, dass diese Veränderungen in der Arbeitswelt unabdingbar sind. Wir sollten bereit sein diese frühzeitig zu erkennen, um sie mitgestalten zu können.

Bild: Fotolia.com / denisismagilov

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