close

Meinungen - 02.02.2016 - 00:00 

Chinas New Economy (Teil 1/3)

Ob in Davos, in den Vorstandszimmern oder in den Schlagzeilen der Financial Times – zwei Fragen beschäftigen derzeit die Weltwirtschaft: Steuern wir 2016 auf einen neuen Minsky-Moment finanzieller Instabilität zu, ähnlich wie 2008? Oder zugespitzt formuliert: Wird Chinas Wirtschaft diese globale Talfahrt auslösen?

$alt

2. Februar 2016. Ein «Ja» auf die erste Frage ist durchaus nicht unwahrscheinlich. Die Antwort auf die China-Frage lautet mit noch grösserer Wahrscheinlichkeit: «Nein.»

In dieser dreiteiligen Beitragsreihe diskutiert Prof. Dr. Tomas Casas China und seinen Einfluss auf die globale Wirtschaft.

Teil I: Chinas Realwirtschaft

Hyman Minskys Spekulationsblasen, die er schwerfälligen Gesetzgebern und Institutionen zuschreibt, ersetzen in seiner Theorie die kapitalistischen Mechanismen der Überinvestition in Industrieressourcen und die darauffolgende automatische Selbstanpassung. Die Dot-com-Blase, die mit dem NASDAQ-Rekordtief von 1.114,11 Punkten im Oktober 2002 platzte (rund 80 Prozent Wertverlust gegenüber dem Spitzenwert 30 Monate zuvor), war eine solche Spekulationsblase, die durch massive Überkapazitäten in der Industrie gekennzeichnet war.

Auf der anderen Seite fand die Krise von 2008 vor einem ganz anderen Hintergrund statt – ein Spekulationskollaps nach Minskys Modell, der im Oscar-nominierten Film «Big Short» sehr eindrucksvoll nachgezeichnet wird. Um beantworten zu können, ob China die nächste Finanzkrise auslösen könnte, wie viele Medien und Experten – darunter George Soros – es in jüngster Zeit prognostizieren, muss man die Realwirtschaft und den Finanzsektor des Landes näher betrachten. Wir kämen dann vielleicht zu dem Schluss, dass China momentan zu den grünen Bereichen auf der Karte der Weltwirtschaft gehört. Mit rund 6 Prozent Wachstum (pro Jahr) leistet das Land einen ordentlichen Beitrag zum globalen Bruttoinlandsprodukt.

Nachfrage nach Stahl und Elektrizität geht zurück

Und doch hat die chinesische Wirtschaft massiv zu kämpfen, nicht nur durch das verlangsamte Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Einkaufsmanagerindex Chinas (PMI – Purchasing Managers Index), ein wichtiger Indikator in einer produktionsorientierten Wirtschaft, liegt unterhalb der kritischen 50-Punkte-Marke. Die Nachfrage nach wichtigen Marktgütern wie Stahl und Elektrizität geht gleichermassen stark zurück. Noch besorgniserregender sind die Stimmungsindikatoren. Trotz der enormen Handelsüberschüsse in Höhe von 50 Milliarden Euro monatlich werden die beachtlichen Devisenreserven des Landes dezimiert (von einem Hoch von 4 Billionen USD auf rund 3,3 Billionen im vergangenen Monat). Die Kapitalflucht wird durch Akteure der Realwirtschaft gefördert, die auf der Suche nach vermeintlicher finanzieller Sicherheit in die altbekannte Dollar-Falle tappen. Die Folge: Der Renminbi-Dollar-Wechselkurs gerät unter Druck (der Euro-Wechselkurs weniger), und die Sicherung seiner Stabilität kommt die Zentralbank teuer zu stehen.

Drei Ursachen der Konjunkturverlangsamung

Drei fundamentale Probleme gelten unter Experten allgemein als Ursachen für die Konjunkturverlangsamung: (i) Kapazitätsüberhang, (ii) Ineffizienz der Old Economy und (iii) die sogenannte «Falle des mittleren Einkommens».

Der Kapazitätsüberhang ist sowohl im privaten als auch im öffentlichen Produktionssektor spürbar. Betroffen sind unter anderem Textilien, Solarkollektoren, Stahl, Immobilien und viele andere Branchen, die nun die Konsequenzen der einstigen Investment-Euphorie tragen müssen. Das ist nichts Neues oder Überraschendes im Kapitalismus – die Kapazitäten pendeln sich normalerweise durch einen kreativen Abbauprozess wieder auf ein neues Optimum ein. Allerdings nur, wenn die Regierung die lauten Rufe nach Subventionen ungehört verhallen lässt. Sobald der Sturm vorübergezogen ist und die Überschüsse abgebaut sind, werden die Überlebenden umso wettbewerbsfähiger aus der Krise hervorgehen.

Die Ineffizienz der «alten» Wirtschaftsordnung liegt im Wesen der staatseigenen Unternehmen (SOEs) und dem schwierigen Kampf um Marktdominanz begründet. Diese Faktoren lassen sich nicht allein durch die Marktkräfte oder eine Laissez-faire-Haltung steuern. Wir wissen, dass die Eigenkapitalrendite der SOEs trotz ihrer privilegierten Position nur knapp über 10 Prozent liegt, während es bei privaten Unternehmen 20 Prozent sind. Letztere arbeiten also trotz weniger Hebelwirkung effizienter. Es ist richtig, dass die staatlichen Unternehmen in China reformiert, möglicherweise auch weiter privatisiert werden müssen. Aber noch wichtiger ist, dass sie dem gleichen Wettbewerb ausgesetzt sein müssen wie ihre weitaus gesünderen privaten und unternehmerisch geführten Pendants.

Um die Herausforderung einer Reform in China zu bewältigen, könnte man sich die wunderbare Arbeit von Robert Litan zur politischen Wirtschaft Amerikas zu Hilfe nehmen. In seinem Buch «Trillion Dollar Economists» legt er dar, dass die Befreiung des Telekommunikationssektors aus dem Würgegriff des Telekommunikationskonzerns AT&T für die Herbeiführung der vielen positiven Effekte aus dem sozialen und wirtschaftlichen Wachstum des letzten Booms – Internet und Silicon Valley eingeschlossen – unerlässlich war. Das Monopol von AT&T wurde auf sieben regionale Anbieter und den Gerätehersteller Lucent aufgeteilt. Dieser Prozess begann unter Präsident Lyndon B. Johnson und wurde erst 1982 von William Baxter, Assistant Attorney General for Antitrust unter Reagan, abgeschlossen.

Beseitigung der Monopole

Die Wettbewerbslösung ist nur für Wirtschaftswissenschaftler eine leichte. Aus praktischer Sicht ist die Beseitigung von Monopolen in der Volksrepublik China genau wie im Westen auch eine Sisyphos-Aufgabe. Letztendlich ist es ein wirtschaftspolitisches Spiel. Heute könnten weder die USA noch die EU mit Microsoft oder Google das machen, was Reagan damals mit AT&T tat. Und doch muss diese Aufgabe in China irgendwie angegangen werden. So sollte es besser 30 Mobilfunkanbieter geben statt der bisherigen drei. Allein dieser Schritt könnte das BIP Chinas ein Jahrzehnt lang um 0,5 % steigern. Allerdings drohen bei einem solchen Schritt immer Reaktionen und eine Menge Widerstand, der gebrochen werden muss. Reagans Verteidigungsminister Weinberger und Handelsminister Baldrige kämpften erbittert an der Seite von AT&T und hätten sich fast durchgesetzt (Verdienst von Reagans Stabschef James Baker). Wie die strengen Antikorruptionsrichtlinien jedoch zeigen, ist auch China in der Lage, mit entschlossenem Führungsverhalten aufzutrumpfen.

Bild: zanthia / photocase.de

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north