close

Veranstaltungen - 26.04.2013 - 00:00 

Wettbewerb um Aufmerksamkeit

Wie prägt das rare Gut Aufmerksamkeit unsere Gesellschaft? Drei Gastredner der Konferenz «The Future of Content is Context» beleuchteten die Geschichte der Konzentrationsfähigkeit aus verschiedenen Blickwinkeln.

$alt

26. April 2013. Die Konferenz widmete sich zwei Tage lang Themen des Kontextstudiums an der Universität St.Gallen. Am ersten Tag standen verantwortungsvolles Management, Multidisziplinarität und Unternehmertum in der Gesellschaft zur Diskussion.

Ein Podiumsgespräch am zweiten Konferenztag befasste sich mit der Frage, wie Aufmerksamkeit unsere Gesellschaft prägt. Titel: «From Vanity Fair to Neuromarketing. Do We Live in an Attention Economy?». Andreas Herrmann, Leiter der Forschungsstelle für Customer Insight der Universität St.Gallen, führte in das Gespräch ein. In der Neuromarketing-Forschung des Betriebswirtes spielt Aufmerksamkeit bei Konsumentscheidungen eine wichtige Rolle.

Kulturgeschichte der Aufmerksamkeit
Einen Einblick in die geistesgeschichichtliche Entwicklung des «Konzeptes Aufmerksamkeit» gab Emmanuel Alloa, HSG-Assistenzprofessor für Kulturtheorie und Kulturphilosophie. Aufmerksamkeit, einst als «Versicherung gegen Langeweile» verstanden, habe sich in der dynamischen Gesellschaft zu einem raren Gut entwickelt. Der Auffassung von Ökonom Jeremy Rifkins nach befänden wir uns seit der Jahrtausendwende im «Age of Access»: Einer Zeit, in der sich die Gesellschaft durch den Austausch von mehr Informationen als Gütern neu gestalte.

Die neue «immaterielle» Wirtschaft kranke daran, dass Information als etwas von seinen Verbreitungskanälen Unabhängiges begriffen werde. In Wirklichkeit bemesse sich der Wert von Information erst aus seiner Verbreitung. Die Aufmerksamkeit habe sich nach dem Architekten Georg Franck selbst zur neuen Währung entwickelt. Der Ausdruck «to pay attention» zeuge davon, sagte Alloa.

Droge für das Wohlgefühl
Wie die Reizverarbeitung im Gehirn unsere Konzentration steuert, erklärte Christian Elger, Direktor des Centers for Economics and Neuroscience an der Universität Bonn. Der Neurologe leitet ein Forschungszentrum für angewandte Biomedizin. Dort entwickeln Forschende Strategien, um Erkrankungen des Nervensystems zu heilen. Elger zeigte anhand von kurzen Tests, wie das Gehirn Informationen verarbeitet und Aufmerksamkeit entsteht. Aufmerksamkeit aktiviere das Belohnungszentrum des Gehirns. Fehle sie, löse das negative Empfindungen und Schmerz aus. Kein Wunder also, dass jeder in der «Zugangsgesellschaft» um Aufmerksamkeit ringe.

Michael Hagner, Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich skizzierte, wie sich unsere Wahrnehmung von Aufmerksamkeit verändert hat. «Im 17. Jahrhundert plauderte das Publikum noch bei Musikaufführungen. 200 Jahre später galt es als verpönt, sich im Konzertsaal zu unterhalten.» Das Bildungsbürgertum habe die Fähigkeit zur Konzentration zum Ideal erhoben. Gut ersichtlich an den Erziehungsmethoden: Kinder mussten lernen, aufzupassen, um ihr Denken in geordnete Bahnen zu lenken.

Verehrung von Produkten
Von dem geistigen Ideal des spätantiken Philosophen Augustinus habe sich Aufmerksamkeit zur ökonomisch messbaren Einheit entwickelt. So zum Beispiel bei der Werbewert-Messung von Zuschauerzahlen und dem Zählen von Seitenaufrufen im Internet: Wer klickt was, wie lange verweilt er bei einem Medium und dessen Inhalt?

Bernard Stiegler, Leiter der Abteilung «Kulturelle Entwicklung» am Pariser Centre Georges Pompidou, schlug den Bogen zur Psychologie des Kapitalismus. «Emotionale Entscheidungen prägen den gesellschaftlichen Alltag – sie steuern unser Investitionsverhalten», sagte er. Karl Marx` Theorie des Warenfetisch, des emotionalen Hangs zu Produkten, sei in der heutigen Konsumgesellschaft sehr präsent, konstatierte der Medientheoretiker.

Aufmerksamkeit als Erziehungsgrundlage, als emotionale Droge, als rares Gut und Lockmittel in der Dienstleistungsgesellschaft: Diesen Aspekten widmete sich das Podiumsgespräch und die  anschliessende Publikumsdiskussion. Ein Gegenkonzept zur Dauerbeschallung des Geistes in einer vernetzten Gesellschaft? Kultivierte Konzentrationsfähigkeit und Ruhe auf allen Kanälen, schloss das Plenum.

Bild: Photocase / Like.eis.in.the.sunshine

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north