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Meinungen - 15.03.2019 - 00:00 

Altersvorsorge: Besser diese Reform als keine Reform

Die eidgenössischen Wahlen 2019 sind von Unsicherheiten im Bereich der sozialen Sicherung geprägt. Insbesondere die Altersvorsorge gibt Anlass zu Sorge. Martin Eling, Professor für Versicherungsmanagement an der HSG, blickt auf die Diskussion um den Generationenvertrag.

15. März 2019. Am 19. Mai, also Mitten im Wahljahr, stimmt das Volk über den AHV-Steuer-Deal ab. Von vielen Kommentaren wird dies als die wichtigste Volksabstimmung im Jahr 2019 angesehen. Im Rahmen des AHV-Steuer-Deals wird die Reform der Unternehmensbesteuerung mit zusätzlichen AHV-Geldern verknüpft. Das zusätzliche Geld soll dabei zum einen durch eine Erhöhung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge erhoben werden. Zum anderen soll der Bundesbeitrag zur Finanzierung der AHV-Ausgaben erhöht werden.

Altersvorsorge in Schieflage

Das tönt recht technisch und nicht sonderlich problematisch. Aber man darf nicht übersehen, wie gross die Schieflage in der Altersvorsorge inzwischen ist. Während die AHV im Jahr 2017 dank einer enorm guten Kapitalmarktentwicklung noch mit einem positiven Betriebsergebnis abschloss, folgte in 2018 ein echter Schock. Das Anlagevermögen sank um 1,5 Mrd. Franken, insgesamt reduzierte sich der AHV-Fonds sogar um 2,5 Mrd. Franken. Dies auch weil die Ausgaben in der AHV inzwischen die Einnahmen massiv übertreffen. So werden im Jahr 2019 Monat für Monat 125 Mio. Franken aus dem AHV Fonds abfliessen. Die Schere zwischen den Ausgaben und Einnahmen wird sich wegen der demografischen Entwicklung und der andauernden sozialpolitischen Reformblockade weiter ausweiten. Ohne Ausgleichsmassnahmen werden die AHV-Defizite gemäss Projektionen des Bundesamts für Sozialversicherungen Mitte der zwanziger Jahre 4 Mrd. Franken (pro Jahr) und Ende der zwanziger Jahre 7 Mrd. Franken (pro Jahr) betragen. Im Jahr 2031 ist der AHV Fonds dann komplett leer.

Auch der Pensionskassensektor und damit die zweite Säule unserer Vorsorge leidet unter den aktuellen Rahmenbedingungen. So hat sich die AXA Winterthur per Januar 2019 aus dem Vollversicherungsmodell der beruflichen Vorsorge zurückgezogen. Ein Entscheid, der geschäftspolitisch gut nachvollziehbar ist, aber für das soziale Sicherungssystem der Schweiz fatal ist. Offensichtlich ist die Politik nicht in der Lage die Stellschrauben so auszurichten, dass eine breit abgestützte Altersvorsorge mit einer kollektiven Tragung des Anlagerisikos möglich ist. Unser immer wieder hoch gelobtes «Drei-Säulen-Modell» der Altersvorsorge steht damit ein Stück weit zur Disposition.

Rentenversicherung in Deutschland

Ein Blick ins benachbarte Ausland hilft die Situation in der Schweiz einzuordnen. So wird für Deutschland ein Absinken des gesetzlichen Rentenniveaus auf 42% im Jahr 2045 prognostiziert. Die Pension beträgt im Durchschnitt damit deutlich weniger als die Hälfte vom letzten Lohn. In der Schweiz wird weiterhin ein Rentenniveau von 60% angestrebt und ist erreichbar. Mehr als die Hälfte der OECD Länder hat inzwischen ein Rentenalter von 67 Jahren oder mehr verabschiedet, viele davon mit einer deutlich geringeren Lebenserwartung als diejenige in der Schweiz. Die Schweiz hat sich hier ein Stück weit von der Diskussion entkoppelt und führt eine zaghafte Debatte um Lohngleichheit und Geschlechtergerechtigkeit im Hinblick auf die Erhöhung des Rentenalters der Frauen. Lohngleichheit und Geschlechtergerechtigkeit sind ohne Zweifel sehr wichtige Anliegen. Sagen wir doch daher Männer arbeiten bis 67 und Frauen bis 66 Jahre. Das Vorsorgesystem der Schweiz wäre auf einen Schlag wieder nachhaltig aufgestellt.

Rentenalter: Tabuthema in der Schweiz

Das Rentenalter bleibt aber ein Tabuthema für die Schweiz. Wenn wir dies so akzeptieren, müssen wir aber auch eine offene Diskussion um die Konsequenzen dieses Tabus führen. Denn jede Rentenreform kann nur an den drei Stellschrauben «länger arbeiten», «mehr einbezahlen» (sei es über Lohnbeiträge oder Steuern) oder «Renten kürzen» ansetzen. Da «Renten kürzen» ebenfalls kaum machbar ist, bleibt nur «mehr einbezahlen», was Wirtschaft und Konsum zunehmend belasten wird. Genau dies passiert nun.

Wie ist der AHV-Steuer-Deal also zu bewerten? Ohne Zweifel ist die Vermischung von Unternehmenssteuerreform und AHV-Finanzierung ein Kuhhandel, in dem zwei unterschiedliche Sachen miteinander verbunden werden. Und ohne Zweifel gäbe es alternative Reformwege wie eine mutigere Diskussion um das Rentenalter. Aber der Kuhhandel mag immer noch besser sein als die Fortführung des Reformstaus, in dem Jahr für Jahr Milliarden zu Lasten der jüngeren Generationen verbraucht werden. So kontrovers der AHV-Steuer-Deal also zu bewerten ist, er hilft zumindest ein Stück weit das momentane Ungleichgewicht und die Schlagseite in Richtung der älteren Generation zu korrigieren. Eine weitergehende Diskussion um das Rentenalter und eine systemische Reform der Altersvorsorge bleibt aber so oder so unabdingbar.

Prof. Dr. Martin Eling ist Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft an der Universität St.Gallen.

Foto: Adobe Stock / nadezhda1906

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