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Meinungen - 08.03.2019 - 00:00 

Schweizer Frauen*streik als Zeichen der Hartnäckigkeit

Wie steht es um die Chancengleichheit in der Schweiz im Jahr 2019? Ein Kommentar anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März 2019 von Christa Binswanger, Dozentin für Gender und Diversity an der Universität St.Gallen.

8. März 2019. Seit Anfang Jahres reisse ich täglich ein Kalenderblatt vom Streikkalender, der auf den 1. Januar 2019 erschienen ist. Ab dem 8. März sind es noch 98 Tage bis zum Frauen*streik. Jeden Morgen bietet mir der Kalender Zitate von Persönlichkeiten, die sich für die Sache der Frau* einsetzten oder heute noch einsetzen: von Olympe de Gouge über Audre Lorde bis hin zu Laurie Penny werde ich allmorgendlich angeregt, den Tag mit einem Nachdenken über Chancengleichheit, Unrechtserfahrung oder einer Überwindung von Hürden, welche die Kategorie Geschlecht mit sich bringen kann, zu beginnen. Das Kalenderblatt vom 8. März 2019 lautet: «Das Schwierigste ist die Entscheidung zu handeln, der Rest ist nur Hartnäckigkeit» (Amelia Earhart).

Das Jahr 2019 steht in der Schweiz im Zeichen weiblichen Protests, der am 14. Juni seinen gebündelten Ausdruck erhalten wird. Eine grosse Palette unterschiedlicher Organisationen hat beschlossen, dass es 2019 – als Zeichen der Hartnäckigkeit – Zeit sei, die mangelnde Geschlechtergerechtigkeit ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und entsprechende politische und gesellschaftliche Massnahmen einzufordern. Wieso gerade 2019 ein Frauen*Streik?

Zögerliche Veränderung der Verhältnisse

Eher ernüchternd ist, dass sich seit dem letzten landesweiten Frauen*streik im Jahr 1991 nur wenig verändert hat. Die zentralen Themen und damit verbundenen Forderungen, die zu einer chancengleicheren Gesellschaft führen sollten, sind weitgehend die gleichen geblieben wie vor knapp dreissig Jahren: Frauen* leisten nach wie vor den Hauptanteil von unbezahlter Arbeit in unserer Gesellschaft – das Verhältnis beläuft sich auf 2/3, das von Frauen* geleistet wird, gegenüber 1/3, das von Männern* geleistet wird. Bei der entlohnten Arbeit sieht das Verhältnis genau umgekehrt aus: 2/3 der Lohnsumme geht an Männer*, 1/3 an Frauen*. Die damit verbundenen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse werden seit den 1970-er Jahren diskutiert: So wird weibliche Care- und Hausarbeit nicht entlohnt, die es vielen Männern* gleichzeitig ermöglicht, ihrer Erwerbstätigkeit nachzukommen. Hinsichtlich der Aufteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit kann mit Blick auf Schweizer Familien also keineswegs von Chancengleichheit gesprochen werden: Die Entscheidungsmöglichkeiten erweisen sich in privater wie auch in beruflicher Hinsicht als ungleich. Dabei zeichnet sich die Schweiz auch heute noch durch eine besonders zögerliche Haltung gegenüber der Institutionalisierung von Massnahmen aus, die Care-Arbeit leistenden Frauen* oder Müttern wie auch Männern* oder Vätern, die zwar mehr und mehr anpacken, aber dennoch klar weniger leisten, Entlastung bieten würden.

Weitere brennende Themen sind die nach wie vor bestehenden Lohndifferenzen zwischen Männern* und Frauen* von gut 18% (das macht durchschnittlich 1455 Fr. pro Monat, siehe Eidgenössisches Büro für Gleichstellung). Die Differenz ist vor allem darauf zurück zu führen, dass Frauen* oft in Beschäftigungsfeldern arbeiten, die schlechter bezahlt sind, sowie, dass sie seltener in Führungspositionen anzutreffen sind als Männer*. Doch gleichzeitig sind gut 40% des Differenzbetrags auf Diskriminierung zurückzuführen. So verdienen Frauen* mit gleicher Qualifikation und gleichen Aufgaben weniger Lohn als Männer* und dies gilt speziell für die Privatwirtschaft.

Backlash in der aktuellen Diskussion

Neben diesen Faktoren liegt ein zentrales auslösendes Moment 2019 in einem «Backlash» gegenüber der Gleichstellungsthematik, der sowohl in politischen Rhetoriken wie auch in Qualitätsmedien um sich greift. Ressentiments gegenüber Gleichstellung und Chancengleichheit zirkulieren nicht selten unsachlich, in gehässigem Ton. Fakten, die belegen, dass die Schweiz im europäischen Vergleich in vielerlei Hinsicht hinterherhinkt, werden dabei verschwiegen. Die pauschalisierende Darstellung einer Benachteiligung aller Männer* als bedenkliche gesellschaftliche Entwicklung ist salonfähig geworden, auch wenn sie den empirischen Befunden nicht gerecht wird. So ist es für viele Frauen* wieder an der Zeit, sich solchen Haltungen kollektiv entgegenzustellen und sich den aktuellen Verhältnissen gegenüber kämpferisch zu zeigen.

Die Problematik ist komplex und sie wird es auch nach dem Frauen*streik bleiben. Dass sie 2019 prominent auf die Agenda gesetzt ist, stimmt hoffnungsfroh. Und dass die Kategorie Frau – signalisiert durch den * – dabei für alle geöffnet wird, die sich identitär irgendwo zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit verorten, zeigt auf, dass sich die Debatten trotz vieler gleichbleibender Problemlagen auch immer weiterentwickeln. So will der Frauen*streik 2019 nicht zuletzt auch die Utopie beflügeln, dass – gerade indem Massnahmen umgesetzt werden, die aktuelle Ungleichheitsverhältnisse aktiv und offensiv kritisieren – die Kategorie Geschlecht in näherer Zukunft an Wirkmächtigkeit verlieren und den Weg für eine (geschlechter-)gerechtere Gesellschaft öffnen wird.

Dr. Christa Binswanger ist Ständige Dozentin für Gender und Diversity an der Universität St.Gallen.

Foto: Adobe Stock / Rawpixel.com

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