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Meinungen - 20.03.2018 - 00:00 

Wirtschaftskriminalität und Digitalisierung

Wirtschaftskriminalität kann im Ernstfall die Stabilität des Finanzmarktes gefährden. Alexander Schuchter über aktuelle und zukünftige Massnahmen zwischen moderner Technik und menschlicher Expertise.

20. März 2018. Finanzmarkt-Skandale entstehen durch rechtswidrige und bewusst vorgenommene Täuschungen. Dazu gehören Marktmanipulation, Insiderhandel, Geldwäscherei, Cyber-Kriminalität, Fälschung der Financial Statements und andere betrügerische Handlungen. Dabei wird das Vertrauen der Anleger missbraucht. Das schafft Unsicherheit und kann im Ernstfall die Stabilität des Finanzmarktes gefährden.

Meilensteine des forensischen Fachbereichs

In der Management-Praxis wächst der forensische Fachbereich derzeit stärker und wird häufiger diskutiert als jemals zuvor. Am Beginn dieses exponentiellen Wachstums steht ein US-Bundesgesetz, der «Sarbanes-Oxley Act of 2002». Nach spektakulären Skandalen wurde damit unter anderem das Ziel verfolgt, die Verlässlichkeit der veröffentlichten Finanzinformationen zu steigern.

In den letzten fünf Jahren haben nicht nur die «Big Four» zusätzlich hunderte Arbeitskräfte für forensische Dienstleistungen im deutschsprachigen Raum neu rekrutiert. Personelle Engpässe führen regelmässig dazu, dass grössere Teams einfliegen. Neben den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind die Bundesanwaltschaft, FINMA, SIX, FIU, Staatsanwaltschaften und andere Institutionen mit Untersuchungen stark ausgelastet.

In der Schweiz haben sich auf IT-Sicherheit spezialisierte angelsächsische Konzerne niedergelassen. Seit einigen Jahren bieten auch immer mehr kleine Beratungs-Boutiquen spezialisierte Dienstleistungen an. Beachtlich ist die fortlaufend verbesserte Ausstattung der internen Revision mit forensischer Fachexpertise. Unternehmen haben sogar eigene interne Taskforces geschaffen. Zudem wurden die Compliance- und Risikomanagement-Bereiche erweitert, insbesondere nach dem Alstom-Urteil von 2011. Das Bildungssystem kann mit dieser Neuorientierung kaum Schritt halten, so wird händeringend nach Nachwuchs gesucht.

Diese Entwicklung geht nicht nur auf Regulierungswellen oder die Digitalisierung zurück. Über den Finanzmarkt hinaus wurde erkannt, dass es sich lohnt, betrügerische Handlungen proaktiv anzugehen. Umfangreiche Studien belegen, dass Unternehmen jedes Jahr durchschnittlich 5 Prozent ihres Umsatzes verlieren. Denn nur sensibilisierte Arbeitskräfte sind in der Lage, Täuschungen im Tagesgeschäft wahrzunehmen, bei Kontrollen zu entdecken und im Ernstfall angemessen zu reagieren. Zudem erleichtert dies, die alltäglichen Prozesse präventiv zu gestalten. Das Potential ist hier noch lange nicht ausgeschöpft. So zeigen jüngste Errechnungen unrühmliche Rekordschäden in der Schweiz. Es ist ein empfindlicher Lernprozess, der oft erst mit finanziellen Verlusten, Reputationsschäden, Karriereknicks oder persönlicher Haftung in Gang gesetzt wird.

Menschliche und künstliche Intelligenz

Mit dem Stichwort «Industrie 4.0» wird intelligente Software vor allem bei Untersuchungen bedeutsamer. Nicht nur am Finanzmarkt werden uns künstliche Intelligenzen bei der Analyse von «Big Data» unterstützen. Adaptive psycho-linguistische Programme werden bereits eingesetzt. Immer präziser analysieren sie unsere geschriebenen und gesprochenen Worte – auch in Echtzeit – auf Emotionen und machen Vorhersagen. Gefährdete Individuen sollen so noch vor der Verübung einer Straftat identifiziert werden.

Künstliche Intelligenzen werden uns als ein Werkzeug dienlich sein und das wird Interaktion erfordern. Speziell trainiertes und sensibilisiertes Personal mit tiefgehender forensischer Expertise wird weiterhin gefragt sein. Denn bereits zu Beginn sind einer künstlichen Intelligenz die richtigen Fragen zu stellen. Zusammenhänge sind zu überprüfen, Schlussfolgerungen nachzuvollziehen und zu interpretieren. Schon bald wird der Umgang mit sensiblen Daten ein noch dringenderes Thema werden.

Vorgehensweisen der Täter verstehen

Auch in der Zukunft werden Täter die Prüfverfahren durchschauen und gezielt Kooperation vortäuschen, um jede Form von Intelligenz für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Täuschungen sind ein menschliches Verhaltenselement. Täter-Vorgehensweisen, unsichtbare Emotionen, Motive, Intuitionen, subjektive Wahrnehmungen und andere tatentscheidende Faktoren ist technisch nur unvollständig erfassbar. Deshalb wird eine ausgewogene Balance zwischen moderner Technik und menschlicher Expertise auch künftig zu den besten Resultaten führen.

Um Wirtschaftskriminalität und die damit einhergehenden Finanzmarkt-Skandale abzuwenden, ist es essentiell, den Modus Operandi und die Beweggründe des Täters zu durchschauen. Wer die Denkweise der Täter versteht, kann zielgerichtete Prävention und Aufdeckung leisten. Erst wer weiss, mit wem er es im Ernstfall zu tun hat, kann Fährten lesen, Risiken beurteilen und sich wirksam schützen. Das war in der Vergangenheit der Fall und wird auch in Zukunft so bleiben.

Dr. Alexander Schuchter ist HSG-Alumnus und seit 2010 Dozent an der Universität St.Gallen. Zuvor war er einige Jahre bei einer Big Four tätig. Mit seinem Unternehmen hilft er nun Führungskräften dabei, Unternehmenswerte dauerhaft zu schützen.

Bild: Fotolia / rimom

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