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Meinungen - 05.09.2017 - 00:00 

Bundestagswahl 2017: Die russisch-deutschen Beziehungen

Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind auf einem historischen Tiefstand. Ulrich Schmid über die unterschiedlichen Perspektiven der Parteien auf Moskau.

5. September 2017. Am 29. September 2001 hielt der frisch gewählte Präsident Putin vor dem Deutschen Bundestag eine viel beachtete Rede. Er versprach auf Deutsch, ein «gemeinsames europäisches Haus» aufzubauen. Die Abgeordneten dankten dem Redner mit einer stehenden Ovation. Das ist eine gefühlte Ewigkeit her. Seit der gewaltsamen Annexion der Krim im Februar 2014 bewegen sich die deutsch-russischen Beziehungen im Permafrostbereich, ein Klimawandel ist nicht in Sicht. Kanzlerin Merkel hat sich an vorderster Front für eine Friedenslösung für den Donbass eingesetzt und die Unterzeichnung der beiden Minsker Protokolle befördert. Gleichzeitig ist aber Deutschland innerhalb der Europäischen Union die treibende Kraft hinter den Sanktionen gegen Russland. Verhängt wurden die «restriktiven Massnahmen» im offiziellen Wortlaut wegen der «rechtswidrigen Annexion der Krim und der bewussten Destabilisierung der Ukraine». In der deutschen Politik unterstützen die CDU und die Grünen die harte Linie der Kanzlerin.

Russlandfreundliche Haltung von SPD und CSU
Es gibt aber auch zahlreiche Abweichler unterschiedlichster politischer Couleur. Noch als Wirtschaftsminister machte Sigmar Gabriel auch nach der Krim-Annexion Putin mehrfach seine Aufwartung. Gabriel vertritt eine grundsätzlich russlandfreundliche Haltung, die in der SPD-Parteibasis weit verbreitet ist. Als Aussenminister ist Gabriel jedoch bald auf den Boden der machtpolitischen Realität zurückgekehrt. Er hat sich mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow auch schon während einer Pressekonferenz ein Rededuell geliefert.

CSU-Chef Horst Seehofer ist durch zwei Moskau-Besuche 2016 und 2017 aufgefallen. Ihm wurde ein grosser Empfang bereitet, weil der Kreml in seiner weltpolitischen Isolation jeden westlichen Besucher als Prestigegewinn verbucht. Seehofer verfügt über eine doppelte Motivation: Auf der einen Seite bereitet er eine Vertiefung der bayrisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Ende der Sanktionen vor, auf der anderen Seite gefällt ihm die wertkonservative Haltung der russischen Regierung.

Eine vorgeblich pragmatische Haltung vertritt der Chef der FDP, Christian Lindner. Mit seinem Vorschlag, die Annexion der Krim als «dauerhaftes Provisorium» zu akzeptieren und das Sanktionsregime zu flexibilisieren, löste er in den deutschen Medien ein kritisches Echo aus. Mit seiner Haltung erweist er den liberalen Idealen seiner Partei einen Bärendienst: Die FDP steht für all jene staatsrechtlichen Prinzipien, die der Kreml mit seiner Ukrainepolitik verletzt hat.

Antiamerikanismus verbindet Linkspartei und AfD
Sahra Wagenknecht von der Linkspartei rechtfertigt als Gast in verschiedenen Propagandasendungen des russischen Staatsfernsehens die Moskauer Aggressionen. Ihren natürlichen Verbündeten in der deutschen Parteienlandschaft findet der Kreml in der AfD. Die Parteispitze pflegt ein unverkrampftes Verhältnis zum Kreml. Frauke Petry reiste im Februar 2017 in einer halb-geheimen Mission nach Moskau, Alexander Gauland hegt offene Bewunderung für die Schliessung der russischen Gesellschaft hinter den Schultern eines starken Führers.

Wagenknecht, Petry und Gauland gehören zur neuen russlandfreundlichen Querfront, in der sich rechte und linke Ideologeme zu einem populistischen Mix verbinden. Der Konsens besteht in einem radikalen Antiamerikanismus, der sich mit einer Elitenkritik und dem Engagement für das «Volk» verbindet. Die «Putinversteher» von rechts und links sind Meister des «Whataboutismus»: Sie kontern westliche Russlandkritik mit dem Verweis auf völkerrechtliche Verfehlungen der USA. Sie bleiben dabei allerdings blind für die prekäre Logik ihrer Position: Man kann einen Diebstahl nicht rechtfertigen, weil überall gestohlen wird.

Russische Einmischung in die Bundestagswahl?
Der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maassen, warnt seit geraumer Zeit vor einer russischen Einmischung in die Bundestagswahl. Dabei hat er vor allem Hackerangriffe im Auge. Eine bestimmte Rolle spielen auch die Nachrichtenportale Sputnik und RT, die ein negatives Bild der Bundeskanzlerin zeichnen und die EU als krisengeschüttelte, bürgerferne Bürokratie präsentieren. Maassen verwies auf den Fall «Lisa», der im Januar 2016 für Schlagzeilen gesorgt hatte: Im ersten Kanal des russischen Fernsehens wurde die Falschmeldung verbreitet, das 13-jährige Mädchen sei von Flüchtlingen vergewaltigt worden. Vor allem unter Russlanddeutschen sorgte diese Nachricht für Aufregung.

Allerdings zielt der Vorwurf der «Beeinflussung der öffentlichen Meinung» in einer offenen Demokratie wie in Deutschland ins Leere. Die öffentliche Meinung ist immer ein Gemisch aus richtigen und falschen, ausgewogenen und tendenziösen Argumenten. Maassens Warnung muss zwar ernst genommen werden, darf aber auch nicht überbewertet werden. Sie schreibt dem Kreml nämlich eine Beeinflussungsmacht zu, über die er höchstens ansatzweise verfügt. Die differenzierte Medienkultur in Deutschland kann auch im Zeitalter der Filterblasen und Fake News immer noch dem «zwanglosen Zwang des besseren Arguments» (Habermas) zum Durchbruch verhelfen.

Ulrich Schmid ist Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St.Gallen.

Bild: photocase / superdesign

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