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Meinungen - 27.02.2017 - 00:00 

Altersvorsorge 2020: Ein Fakten-Check

Die absehbaren Defizite in der AHV und die Umverteilung im BVG zwingen zum Handeln. Am 28. Februar 2017 nimmt der Nationalrat Stellung zur Vorlage. Wie steht es um die Knacknuss Altersvorsorge in der Schweiz? Ein Kommentar von Martin Eling, Professor für Versicherungswirtschaft an der Universität St.Gallen (HSG).

28. Februar 2017. Nach der Abstimmung zur Unternehmenssteuerreform steht nun mit der Altersvorsorge 2020 das nächste grosse Reformprojekt zur Entscheidung an. Zunächst der Showdown im Stände- und Nationalrat, dann im Einigungsfall die Volksabstimmung im Herbst. Derzeit stehen alle Zeichen auf Konfrontation und viele vermuten, dass auch diese Reform in einem Scherbenhaufen enden könnte.

Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Denn Protagonisten von links wie rechts sind sich einig, dass wir uns nach Jahren des Stillstands kein Scheitern dieses Reformprojekts erlauben können. So wird das Umlageergebnis in der ersten Vorsorgesäule, der AHV, in 2016 zum dritten Mal in Folge negativ sein. Nach 320 Millionen Franken im Jahr 2014 und 579 Millionen Franken im Jahr 2015, wird in 2016 erneut mindestens eine halbe Milliarde Defizit entstehen. Und Projektionen des BSV sagen für die Zukunft nichts Gutes: Ab dem Jahr 2021 wird ein Umlagedefizit von mehr als einer Milliarde Franken erwartet.

Sieben Milliarden Franken Defizit in den Rentenkassen bis 2030

Für das Jahr 2030 soll das Defizit sogar sieben Milliarden Franken betragen. So entsteht in Summe in den kommenden 15 Jahren ein Defizit von über 40 Milliarden Franken. Und der heute noch prall gefüllte AHV Fonds wäre im Jahr 2030 aufgebraucht. Bei den letztgenannten Zahlen handelt es sich zwar nur um BSV-Prognosen, diese sind aber im Unterschied zu anderen Prognosen mit relativ geringer Unsicherheit behaftet. Die demographische Entwicklung ist fix und die Annahmen des BSV, etwa zur Zuwanderung oder zum Wirtschaftswachstum, sind sogar eher optimistisch gewählt. In der zweiten Säule des Vorsorgesystems, der beruflichen Vorsorge, sind die Probleme sogar noch grösser.

Denn hier werden schon seit geraumer Zeit Gelder im Milliardenumfang von den Erwerbstätigen zu den Rentnern umverteilt. Hintergrund ist der gesetzlich vorgeschriebene Umwandlungssatz von 6,8 Prozent, der deutlich über versicherungsmathematisch vernünftigen Werten liegt. Der Umwandlungssatz von 6,8 Prozent bedeutet beim heutigen Zinsniveau, dass das Geld nach knapp 15 Jahren aufgebraucht ist. Tatsächlich leben Frauen heute beim Renteneintritt noch 23 Jahre, Männer etwa 20 Jahre. Zahlen der Credit Suisse aus dem Jahr 2012, wonach in der zweiten Säule Jahr für Jahr 3,5 Milliarden Franken umverteilt werden, scheinen heute eher zu tief angesetzt. Beispielsweise hat die UBS zuletzt die Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern auf sechs bis acht Milliarden Franken pro Jahr quantifiziert. Wichtig ist hier der Hinweis, dass diese Zahlen zur zweiten Säule keine Prognosen für die Zukunft sind, sondern Umverteilungen, die de facto heute stattfinden. Prognosen für die Zukunft sind in der beruflichen Vorsorge ähnlich dramatisch wie für die AHV, sollen aber hier heute nicht genannt werden, da sie mit deutlich grösserer Unsicherheit behaftet sind, etwa zum künftigen Zinsniveau.

Rentenreform vor dem Abgrund

Die Reform ist also dringend notwendig, steht aber vor dem Abgrund. Kernstreitpunkte sind aktuell insbesondere zwei Finanzierungsfragen. Zum einen der AHV-Zuschlag von 70 Franken als Kompensation für die Reduktion des Umwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge. Zum anderen der Umfang einer möglichen Mehrwertsteuererhöhung. In beiden Fällen wird das Argument vorgebracht, dass die Reform zu teuer wird. Der Zuschlag von 70 Franken erhöht das AHV-Umlagedefizit, eine Mehrwertsteuererhöhung geht zu Lasten der Wirtschaft in einer ohnehin schwierigen Situation. Die Argumente sind allesamt zutreffend. Doch ist in beiden Themenbereichen nun Kompromissfähigkeit gefordert.

Eine Reform muss ausgewogen sein und die Interessen aller Parteien berücksichtigen, sonst brauchen wir erst gar nicht zur Abstimmung antreten. Und die Alternative wäre ein ins Ungleichgewicht geratenes Vorsorgesystem, das sich immer stärker zu Lasten der jüngeren Generation entwickelt und der internationalen Entwicklung völlig zuwiderläuft. So hat beispielsweise inzwischen die Mehrheit der EU-Länder ein Renteneintrittsalter von mindestens 67 Jahren auf den Weg gebracht, während wir uns mit der Erhöhung des Frauen-Renteneintrittsalters auf 65 Jahre schwer tun.

Fazit: Heute sind noch Anpassungen am Vorsorgesystem in behutsamen Schritten möglich. In zehn Jahren kann das System hingegen nur mit drastischeren Eingriffen ins Gleichgewicht gebracht werden. Klingt nach einer düsteren Prognose, ist aber leider so. Daher ist die Vorsorgereform enorm wichtig und muss heute gelingen. Bitte also kein Spiel mit dem Feuer wegen 70 Franken.

Bild: joexx / photocase.de

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