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Meinungen - 15.06.2015 - 00:00 

Griechenland im «Familienstreit»

Die Verhandlungen mit Griechenland ähneln bisweilen einem Familienstreit. Käme es zum Rausschmiss, wäre nicht nur das Kind schuld, sondern auch die Eltern, schreibt HSG-Dozent Markus Will in seiner Kolumne. Damit es eine gütliche Einigung gibt, braucht es Einsicht auf beiden Seiten.

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16. Juni 2015. Ein möglicher Grexit lässt sich mit einem heftigen Familienstreit vergleichen. Alexis Tsipras führt sich seit seiner Wahl wie ein ungezogener Junge auf, der im Streit zu Mutti Merkel sagt: «Das machst du doch so wie so nicht, mich wirklich vor die Türe zu setzen.» Meistens ist das in der Tat so, dass Kinder nicht vor die Türe gesetzt werden. Aber manches Mal ist es auch anders. Die Eltern können nicht mehr sagen: «Solange du deine Füsse unter meinen Tisch stellst…» Wir kennen ihn alle, diesen Spruch, in dem es um die Regeln des familiären Miteinander, um Rechte und Pflichten geht.

Regeln des familiären Miteinander

Mal sehen, wie es bis Ende Juni weitergeht: Wird Griechenland rausgeschmissen, weil es partout nicht die Pflichten der Euroländer erfüllen will? Wird der griechische Ministerpräsident Tsipras damit sein vergiftetes Wahlversprechen erfüllen, hart bleiben, die Reformen abschwächen und aufschieben? Also die Dinge anders machen, als seine europäische Familie das erwartet? Der junge Alexis ginge mit einem Berg an Schulden (für den die Eltern wohl oder übel eintreten müssten), er ginge ohne Ziel und im übertragenen Sinne auch ohne eine solide Ausbildung. Alexis sässe bettelarm am Strassenrand (und wäre wieder auf die Unterstützung seiner Familie oder der Solidargemeinschaft) angewiesen.

Käme es zum Rausschmiss, sind aber in der Regel nicht nur das Kind schuld, sondern auch die Eltern. Und im Herzen wissen sie es auch, dass sie dem Kind zu viel, zu lange und zu oft das Falsche zugestanden haben. Das Kind hat nicht gelernt, mit Geld umzugehen, aber die europäischen Eltern haben zugelassen, dass die Griechen zu viel, zu leicht bekommen haben. Das Kind ist nicht wirklich fleissig, zumindest aus Sicht der Ansprüche der Eltern. Das Kind hat nicht genug gelernt, um sich gegen andere durchzusetzen, aber die Eltern haben auch nicht wirklich darauf bestanden. Jetzt, wo es so gut wie zu spät ist, wollen die Eltern es mit Brachialgewalt erzwingen, unter Mithilfe der Familientherapeutin Christine Lagarde vom Internationalen Währungsfonds (IWF).

Das kann nicht gut gehen, zumindest nicht so. Das leichte griechische Leben muss zwar ein Ende haben, aber die Altlasten muss man teilweise abschreiben: So macht man es doch mit Kindern, die den Schalter umlegen und ernsthaft auf Sicht eigenständig durchs Leben gehen wollen. Wenn das Kind endlich auf den Pfad der Tugend zurückkehrt, verzichten die Eltern auf einen Teil der Schulden (den ersten Schuldenschnitt haben die reichen Onkel und Tanten aus den Banken bezahlt). Andernfalls ist das Geld sowieso weg. Kind weg, Geld weg, alles weg. Wer kann das wollen? Weder der junge Alexis noch Mutti Merkel und auch der europäische Familienclan nicht. Alleine schon nicht, um als schlechtes Vorbild für andere Kinder aus Portugal, Spanien, Italien und Frankreich zu dienen.

Einsicht muss auf allen Seiten wachsen
Wie gesagt: Meistens geht der Familienstreit ohne endgültigen Rausschmiss aus. Dazu braucht es Einsicht auf allen Seiten. Aber während die Eltern bereits erwachsen sind und ihre Erfahrungen gemacht haben, müssen pubertierende Jugendliche dabei erwachsen werden! Ob Alexis Tsipras das versteht? Oder will er als Märtyrer aus Brüssel heimkehren – nach dem Motto Wir haben alles versucht? In diesem Falle dauert es nur wenige Wochen, bis das griechische Volk des Halbstarken überdrüssig sein wird und ihn aus dem Amt wirft. Da kommen die Metaphern des Märtyrers und des Halbstarken zusammen: Sie treffen sich auf der Strasse, bettelarm und ohne Zukunft!

Alexis Tsipras sollte seine griechischen Füsse unter dem europäischen Tisch belassen (können), Mutti und ihre Männer sollten ihm die Konsequenzen klar machen und ihre Konzessionen aufzeigen. Dann muss sich der junge Mann entscheiden, für oder gegen die Familie.

Bild: Photocase/ HessenJense

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