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Meinungen - 14.01.2015 - 00:00 

Charlie Hebdo: In memoriam

Prof. Dr. Vincent Kaufmann über das Aufwachsen mit den Zeichnungen von Cabu, einem der Opfer des Terroranschlags auf die Redaktionsräume der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» am 7. Januar 2015 in Paris.

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14. Januar 2015. Cabu habe ich angefangen zu lesen, als ich zwölf Jahre alt war. Ab 1966-1967 zeichnete er jede Woche seinen «Grand Duduche» für «Pilote», die französische Konkurrenz zu den etwas infantilen belgischen Jugendmagazinen «Tintin» und «Spirou». Der «Grand Duduche» war ein blonder Gymnasiast mit verdächtig langen Haaren und endlosen, dünnen Beinen, der sich auf eine mehr oder minder unbewusste Weise auf die Umwälzungen des anstehenden Mai 68 vorbereitete und jede Woche in einen neuen Konflikt mit dem reaktionären Direktor seines Lycée geriet.

Der Direktor sah aus wie die später durch Cabu erfundene Gestalt des «beauf» (eine Abkürzung für «beau-frère» – Schwager), der zum Vertreter der boshaften kleinbürgerlichen Dummheit geworden ist. Ich habe ein paar Jahre lang jede Woche auf «Pilote» und Cabu gewartet.

Wie andere Autoren von «Pilote» ist Cabu mit seinem Publikum gewachsen. Während die Belgier die gleichen kindlichen Figuren brav weitergezeichnet haben, sind die Franzosen durch den «Spirit» von Mai 68 angesteckt worden und haben ihn allmählich verkörpert. Cabu war etwas später auch in «Hara Kiri», dem Vorgänger von «Charlie Hebdo» zu finden, und dann eben in «Charlie Hebdo» mit allen anderen: Cavanna, Reiser, Wolinski, Gébé, Willem usw.

Jahrzehntelang, bis heute und hoffentlich morgen auch noch, hat «Charlie Hebdo» die Kunst der absoluten Freiheit, der totalen Respektlosigkeit, der maximalen Frechheit gepflegt und allen politischen, religiösen und moralischen Tabus und Heucheleien das schärfste Lachen gegenübergestellt. Aus dem französischen Savoir-vivre ist mit «Charlie Hebdo» ein «savoir-rire» geworden, dessen Kraft und Wirkung vermutlich in anderen Kulturen unvorstellbar bleibt. Es ist: France at its best, Voltaires Geist lässt grüssen.

Cabu ist mit seinem Publikum gewachsen, aber im Gegensatz zu zahlreichen Lesern, ist er nie erwachsen, nie ein Mann geworden. Er ist Duduche geblieben. Und deshalb betreffen uns die Attentate der letzten Woche so viel intensiver als manche andere, so abscheulich sie alle sind. Es geht nicht nur um die Presse- oder die Meinungsfreiheit, oder um die am 11. Januar auf eine eindrückliche Weise zelebrierten Werte der «République». Es geht um unsere Fähigkeit zu lachen, um ein Stück Kindheit oder Jugend in uns, das Millionen Menschen am 7. Januar gestohlen worden ist.

«Jamais plus nous ne boirons si jeunes.»

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