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Meinungen - 27.05.2014 - 00:00 

Teufelchen wird salonfähig

Das triumphale Ergebnis bringt Marine Le Pen einem wichtigen Zwischenziel näher, schreibt Christoph Frei. Ein Rückblick auf die Europawahlen in Frankreich.

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27. Mai 2014. Endlich ist er Geschichte, dieser vermaledeite Wahlgang. Lästig war er den etablierten politischen Parteien, eine Pflichtübung ohne Aussicht auf Gewinn: die Meinungen waren gemacht. Seit Wochen hatten die Auguren beiden Seiten ein schlechtes, wenn nicht ein peinliches Resultat verheissen – eine weitere schallende Ohrfeige für den Präsidenten und seinen Parti socialiste, eine Klatsche aber auch für die rechtsbürgerliche Oppositionspartei UMP. Und die Prognosen stimmten.

«C'est qui déjà, ce Schulz?»
Erste Gewinnerin, eine zahlenmässig deutliche, naturgemäss aber stille Gewinnerin bleibt auch diesmal die Stimmabstinenz. Mit dem Europäischen Parlament ist in Frankreich noch immer kein Staat zu machen. Nach 1994 hat die Beteiligung nie auch nur 50 Prozent erreicht, am vergangenen Sonntag lag sie bei 43 Prozent. Kein neuer Minusrekord zwar, doch so gering war das Interesse für die vermeintlich «europäischen» Spitzenkandidaten («c'est qui déjà, ce Schulz?»), dass der staatliche Fernsehsender France Télévisions politisch unkorrekt beschloss, ihre Debatte gar nicht zu übertragen. Zukunft Europa? Hauptsache Frankreich.

Verbreitete Stimmenthaltung ist keineswegs neu. Neu ist etwas anderes. Neu ist die zahlenmässige Explosion jener Wahlberechtigten, die dem europäischen Projekt in seiner gegenwärtigen Form nicht bloss indifferent gegenüberstehen, sondern ablehnend oder gar feindlich. Ihrer Wahrnehmung nach hat dieses «ultraliberale» Europa die drängendsten Alltagsprobleme in den vergangenen Jahren nicht entschärft, sondern verschärft: gefährdete Stellen, verminderte Kaufkraft, Unsicherheit im Licht gefühlter Überfremdung.

Nicht nur Arbeiter wählen Le Pen

«Nein zu Brüssel, Ja zu Frankreich»: unter diesem weiten Dach hat der Front national erfolgreich mobilisiert. Die zweite, naturgemäss weniger stille Siegerin vom 25. Mai heisst Marine Le Pen. Mit sicherem Instinkt hat sie es verstanden, Wählergruppen einzufangen, die man traditionellerweise mit anderen Parteien in Verbindung bringen würde. Bei der Arbeiterschaft kamen die Sozialisten auf gerade noch acht Prozent der Stimmen, der Front national dagegen auf 48 Prozent. Bei den jüngeren und jüngsten WählerInnen stimmten 15 Prozent für die Sozialisten, jedoch 30 Prozent für den Front national.

Das triumphale Endergebnis von 25 Prozent aller Stimmen bringt Marine Le Pen einem wichtigen Zwischenziel näher. Um landesweit dereinst wählbar zu sein, muss sie in neuen Kreisen salonfähig werden. Nichts hilft so sehr wie gewonnene Wahlen, nichts zieht das Rassemblement Bleu Marine machtvoller in den geteilten politischen Raum als die Weihe demokratischer Legitimation.

Eine Wendung, die niemand mehr belächelt

Man mag, natürlich, Populismus rufen. Oder man wird relativieren: es sind ja bloss Europawahlen, Zwischenspiele ohne Folgen. Tatsache bleibt, dass Teile des souveränen Volkes bewusst oder unbewusst befördern, was die etablierten Parteien seit Jahrzehnten zu verhindern suchen: politische Respektabilität für die Tochter von Jean-Marie Le Pen. Mit den Kommunalwahlen vom März, spätestens aber mit dem Wahlsieg vom 25. Mai hat das Spiel eine Wendung genommen, die niemand mehr belächelt.

Was Wunder, wenn die politischen Eliten im Nachgang zur Wahl reflexartig das Rad der Diabolisation neu anwerfen, wenn die Hüter der Verfassung warnen, wenn der Präsident zur Krisensitzung ins Elysée ruft. Sie tun alle gut daran, den Front national ernst zu nehmen. Nur sei auch nicht vergessen, dass diese gleichen Eliten seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten die Europäische Union für alles verantwortlich machen, was in Frankreich nicht funktioniert, statt vor der eigenen Türe zu kehren. Lieber bequem einen Sündenbock pflegen, als dem Volk reinen Wein einschenken. Lieber weiterwursteln, als gegen Widerstände reformieren. Ohne Reformen aber keine Besserung, und weitere Klatschen sind vorprogrammiert.

Bild: Vente. / photocase.com 

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