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Meinungen - 15.07.2014 - 00:00 

Putins grosses Spiel

Russlands nicht deklarierter Krieg gegen die Ukraine dauert an. Der Blutzoll ist schrecklich. Putin geriert sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts wie die machthungrigen Monarchen vor hundert Jahren, schreibt HSG-Professor Ulrich M. Schmid.

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16. Juli 2014. Bisher hat der Konflikt in der Ostukraine rund 800 Todesopfer gefordert. Nach wie vor stellt sich der Kreml auf den Standpunkt, man sei selbst nicht Kriegspartei; es handle sich bei den Kämpfen um einen Aufstand der unterdrückten russischen Bevölkerung in der Ukraine gegen eine verbrecherische Zentralmacht.

Russische Einmischung ist offensichtlich
Während der Krimkrise hatte Präsident Putin noch mit kaum verhehltem Zynismus behauptet, die bewaffneten Soldaten seien lokale Bürger, die sich ihre Ausrüstung im «Laden um die Ecke» gekauft hätten. Mittlerweile hat die Ausrüstung und die Kampfstrategie der Separatisten im Osten der Ukraine ein derart professionelles Niveau erreicht, dass die russische Einmischung offensichtlich geworden ist.

Putin hat in der Ukraine ein sehr grosses Spiel begonnen. Sein Einsatz – die internationale Reputation Russlands als eines verlässlichen wirtschaftlichen und politischen Partners – ist enorm; ebenso enorm ist auch die Erfolgsprämie, falls das Spiel zu Putins Gunsten ausfällt: Russland wird wieder zu einer Supermacht, ohne deren Placet kein wichtiges Problem von globaler Bedeutung entschieden wird; Putins Autorität im Inneren des Landes bleibt unangefochten; Russland dominiert aufgrund seiner Energieressourcen den gesamten eurasischen Raum. Das ist aber vorerst nur der Traum, dem Putin nachjagt.

Möglicherweise kommt alles auch anders: Russland kann die hohen Folgekosten seines aggressiven Kurses nicht mehr tragen und erleidet – wie bereits 1998 – einen Staatsbankrott; Putin erweist sich in den Augen der russischen Bevölkerung als Hazardeur, der leichtfertig alle internationalen Kooperationen gefährdet; Russland isoliert sich zunehmend von seinen Nachbarstaaten und wird wieder zum «Reich des Bösen» – das Beispiel der baltischen Staaten, Moldawiens, Georgiens und der Ukraine könnte Schule machen und auf das traditionell russlandfreundliche Zentralasien übergreifen. Damit stünde auch Putins persönliches Prestigeprojekt der Gründung einer Eurasischen Union unter einem denkbar schlechten Stern.

Prekäre Innenpolitik durch autoritäre Aussenpolitik ersetzt

Zumindest kurzfristig scheint Putins Kalkül aufzugehen: 89% der russischen Bevölkerung begrüssen den Anschluss der Krim, die Zustimmung zu Putin ist nach einem beschämenden Tief während der Präsidentschaftswahlen von 2012 wieder auf 83% angestiegen. Das Problem liegt allerdings darin, dass Putin die patriotische Karte nur einmal spielen kann. Ihm ist es während der Krimkrise gelungen, die prekäre Innenpolitik (fehlende Reformen, Einschränkung der Bürgerfreiheiten, Einbruch des wirtschaftlichen Wachstums) durch eine autoritäre Aussenpolitik zu ersetzen, die ganz offensichtlich beim Stimmvolk gut ankommt.

Der neue Konfrontationskurs mit dem Westen bringt aber auch gravierende Nachteile mit sich: Russlands internationales Ansehen entspricht heute demjenigen Serbiens unter Milosevic. Putin geriert sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts wie die machthungrigen Monarchen vor hundert Jahren, als internationale Politik als Nullsummenspiel bei der Eroberung von Ressourcen und Territorien wahrgenommen wurde. Heute lassen sich die russischen Hurrapatrioten von Putins Expansionspolitik blenden. Vielleicht dämmert ihnen noch vor den Präsidentschaftswahlen von 2018, dass sich Frieden, Wohlstand und Demokratie nicht in nationalistischen Begeisterungsstürmen herbeijubeln lassen.

Bild: Photocase / 12frames

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