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Meinungen - 08.01.2014 - 00:00 

Gelenkte Winterspiele in Russland

Wie steht es um Russland nach der Freilassung von Michail Chodorkowski und Mitgliedern der Band Pussy Riot? Die Terror-Anschläge in Wolgograd wirken Putins Prestige-Kampagne für Russland entgegen. Ulrich Schmid über die Entwicklungen rund um die gelenkten Winterspiele.

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13. Januar 2014. In einem Monat beginnen die Olympischen Spiele im südrussischen Sotschi. Bereits vor Beginn schlägt dieser Megaevent alle Rekorde: Es werden mit Sicherheit die teuersten Spiele aller Zeiten – rund 50 Milliarden Dollar lässt sich Russland die zwei Wochen Ruhm im Februar 2014 kosten. 12 Milliarden waren ursprünglich budgetiert – der Rest des Geldes versickert in einem undurchsichtigen Sumpf aus Fehlplanung und Korruption. Putin hat die Olympischen Spiele wiederholt zur Chefsache erklärt: Er investiert viel persönliches Prestige in die Spiele, die als Schaufenster für die organisatorische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Russlands dienen sollen.

Prestige auf historischem Tiefstand
Der Präsident hat internationale Anerkennung bitter nötig. Zwar steht er nach der Durchsetzung seiner Interessen auf wichtigen Schauplätzen wie Syrien, Armenien und der Ukraine aussenpolitisch als Sieger da. Das Prestige seines Landes befindet sich jedoch auf einem historischen Tiefstand. Russische Intellektuelle sprechen bereits von einer neuen «Stagnation» (so bezeichnete man die gerontokratisch verwaltete Sowjetepoche unter Breschnjew). Im Ausland riskiert Putin zu einem Paria zu werden –der deutsche und der französische Präsident haben ihre Reise nach Sotschi bereits abgesagt.

Eines muss man Putin jedoch lassen. Er hat einen guten Sinn für das richtige Timing. Der schiere Zufall will es, dass der zwanzigste Jahrestag der geltenden russischen Verfassung auf den 12. Dezember 2013 fällt. Aus diesem Anlass löst nun Putin mit einem Befreiungsschlag zwei prominente Fälle, die immer wieder als Beweis für eine politische Beeinflussung der russischen Justiz angeführt werden: Chodorkowski und Pussy Riot. Die Begnadigung der prominenten Gefangenen ist ein Signal, das vorwiegend ins Ausland gesendet wird und dort auch eine ganz andere Bedeutung als in Russland erhält.

Auf Freilassung folgt Terror
Die Mehrheit der russischen Bevölkerung hat weder mit Chodorkowski noch mit den Punkrockerinnen Mitleid. Keine Rolle spielt dabei, dass alle diese Verurteilten minderjährige Kinder haben. Chodorkowski gehört zur verhassten Kaste der Oligarchen, die sich auf unrechtmässige Weise bereichert haben; Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina gelten als Radauschwestern, die sich über die religiösen Gefühle der Russen lustig machen. Im Westen wurde die Amnestie zu Recht als Teil der politischen Dramaturgie vor Sotschi wahrgenommen: Kein Sportkommentator sollte in einer spitzen Nebenbemerkung während der Winterspiele auf noch einsitzende „politische Häftlinge“ in Russland verweisen können.

Nicht gerechnet hat Putin indes mit der Gegendramaturgie seiner wichtigsten Kontrahenden im Land. Die Terroranschläge in Wolgograd sind natürlich ebenso sorgfältig im Vorfeld der Spiele inszeniert worden wie die Amnestie. Möglicherweise wird es weitere Anschläge geben – nicht unbedingt in Sotschi selbst, das von den Sicherheitskräften zu einer Festung ausgebaut wird, sondern im Umkreis des Austragungsorts. Die Islamisten um Doku Umarov fordern dabei nicht nur das Militär heraus, sondern auch die geopolitische Definition der Region: Moskau vermeidet das Wort «Kaukasus», wenn es um die Spiele in Sotschi geht, sondern verwendet den Terminus «multinationales Russland».

Irrwege der olympischen Fackel
Dieses Konzept ist sehr präsent: Das offizielle Design der Spiele in Sotschi verwendet ein Patchwork aus verschiedenen folkloristischen Mustern. Die olympische Fackel wird auf einer komplizierten Route hauptsächlich von Russen, aber auch von Tschetschenen, Nenzen, Tuwinern und anderen Vertretern ethnischer Minderheiten durch das ganze Land getragen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass mit der Betonung des Vielvölkerstaats die diskursive Grundlage für eine mögliche spätere Eingliederung der abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien in die Russische Föderation vorbereitet werden soll – Sotschi liegt nur 40 km von der abchasischen Grenze entfernt.

Solchen Absichten steht die Einschätzung Doku Umarovs diametral entgegen. Exakt vor 150 Jahren wurden die indigenen Tscherkessen in ihrem Unabhängigkeitskampf von den vorrückenden Russen besiegt. Doku Umarov hat bereits im vergangenen Sommer in einer Videobotschaft mit Anschlägen auf die Spiele gedroht und dies damit begründet, dass die Olympischen Spiele in Sotschi auf den «Knochen seiner muslimischen Vorfahren» durchgeführt werde. 

Terror schwächt geplante Symbolkraft
Den Terroristen geht es um die Umkehrung des triumphalen Siegesnarrativs, der dem russischen Olympiaprojekt eingeschrieben ist. Deshalb fanden die bisherigen Attentate in Wolgograd statt, das als ehemaliges Stalingrad bis heute für den sowjetischen Sieg über Nazideutschland steht. Sotschi soll an die Symbolkraft dieses militärischen Erfolgs anknüpfen und die Zukunftsfähigkeit des russischen Gesellschaftsmodells unter Beweis stellen. Deshalb steht der eigentliche Sieger der Spiele aus der Perspektive des Kremls bereits heute fest: Russland. Offen bleibt allerdings vorerst, ob sich ein Sportanlass ebenso einfach lenken lässt wie eine Demokratie.

Bild: Photocase / typeandsound

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