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Meinungen - 23.01.2014 - 00:00 

Ist das WEF in Davos wichtig?

Welche Bedeutung hat das Weltwirtschaftsforum in Davos? HSG-Professor Simon Evenett über den Wert des Treffens in Graubünden und gesellschaftlichen Ausgleich durch demokratische Prozesse in offenen politischen Systemen.

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23. Januar 2014. Ist Davos wichtig? Meine unmittelbare Reaktion auf diese Frage ist: «Für wen?» Offensichtlich für die Unternehmensleiter, Analysten und Spitzenpolitiker, die am alljährlichen Anlass des Weltwirtschaftsforums teilnehmen; sonst gingen sie gar nicht hin. Aber sollten sich alle anderen ebenfalls damit beschäftigen? Schliesslich wenden die Kritiker ein, dass diese Treffen nicht allumfassend seien und durch eine bestimmte angelsächsische Auffassung von der freien Marktwirtschaft beherrscht werden. Soll man diese Kritik ernst nehmen?

Man darf das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren. Immerhin nehmen sich die Geschäftsführer von Apple, General Electric und IBM nicht die Mühe, zu diesem Jahrestreffen nach Davos zu pilgern. Und der bekannteste Anleger der Welt, Warren Buffet, fühlt sich ebenfalls nicht bemüssigt teilzunehmen. Laut New York Times reisten die Gründer von Google und Facebook nur zweimal nach Davos. Anscheinend ist nicht jeder Chef eines bedeutenden Unternehmens willens, den jährlichen Mitgliederbeitrag von USD 70‘000 zu entrichten. Und einige, die in der Vergangenheit zahlten, hörten damit auf.

Eliten suchen sich ihr Forum
Wo sich einflussreiche politische Entscheidungsträger treffen, gibt es auch Leute, die sie zu beeinflussen versuchen. Und in einer globalisierten Welt, in der sich die relative Wirtschaftsmacht über den Atlantik in den asiatisch-pazifischen Raum verschiebt, überrascht es nicht, dass verschiedene Entscheidungsträger ein Forum zu schätzen wissen, an dem sie sich mit Amtskollegen aus anderen Ländern austauschen können. Wenn es Davos nicht gäbe, würde mit Sicherheit ein ähnliches internationales Forum für Wirtschafts- und Politeliten entstehen.

Diese Eliten treffen sich auch andernorts. Dies ist der Grund, weshalb Firmen so viel Geld für die Errichtung von Geschäftsstellen für Regierungsangelegenheiten in der Nähe von Regulierungsbehörden und nationalen Machtzentren ausgeben. Dazu kommen – zweifelsohne von Unternehmen gesponserte – nationale Tagungen für Vordenker und Entscheidungsträger. In Frankreich wird diese Rolle vom «Cercle des économistes» wahrgenommen.

Teures Treffen mit beschränktem Zugang
Verschiedene CEO gehen vermutlich nicht nach Davos, weil ihre Firmen am Hauptsitz und in den für sie am wichtigsten Ländern ein wirkungsvolles Lobbying betreiben. Gäbe es Davos nicht mehr, wäre der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik nach wie vor gross. Wenn man bedenkt, wie viel mehr Medienaufmerksamkeit als anderen Foren dem WEF in Davos zuteil wird, muss man davon ausgehen, dass dieselben Unternehmensziele ohne Davos in trüberen Gewässern verfolgt würden.

Dennoch kann kaum von der Hand gewiesen werden, dass das Davoser Hochpreisschild viele potentielle Teilnehmer von den wenigen Anwesenden fernhält. Auch wenn sich die Grosskonzerne nicht durchzusetzen vermögen, können sie ihre Sache doch oft hinter verschlossenen Türen vertreten – das hört man zumindest. Dass der Zugang zu den wichtigsten Entscheidungsträgern ungleich verteilt ist, ist ein offenes Geheimnis. Doch bevor man diese Prämisse akzeptiert, lohnt es sich zu fragen, worin die wirksamen Möglichkeiten bestehen, mit denen Bürger und Bürgerinnen in ihrem Gemeinwesen ein Anliegen ansprechen können.

Gesellschaftlicher Ausgleich durch direkte Demokratie
Man darf nicht ausser Acht lassen, dass in der Schweiz mit ihrer starken, althergebrachten Tradition der direkten Demokratie politisch aktive Gruppierungen in den vergangenen Jahren Angelegenheiten zur Abstimmung gebracht haben, die der Geschäftswelt gegen den Strich gehen. Die damit verbundenen Abstimmungskampagnen bezogen sich auf heikle Fragen, darunter die Entlohnung von Managern. Im laufenden Jahr wird sich das Schweizer Stimmvolk mit weiteren Fragen befassen müssen, die von der Geschäftswelt angefochten werden.

Hier könnte man dagegenhalten, dass die Stimmberechtigten anderer Länder nicht dieselben Rechte besitzen wie Schweizer Staatsangehörige. Aber wenn die innerstaatlichen politischen Prozesse nicht offen und zugänglich sind, wäre dies mit oder ohne das Davoser Treffen der Fall. Damit soll nicht gesagt sein, dass Davos nutzbringend oder sogar segensreich sei. Es soll eher darauf hingewiesen werden, dass der Nutzen, den eine Interessengemeinschaft aus internationalen Anlässen wie Davos zu ziehen vermag, auch in einer globalisierten Welt begrenzt ist, wenn die Demokratien ihren Bürgern und Bürgerinnen kostengünstige und offen zugängliche Mittel in die Hand geben, mit denen bedeutsame Anliegen zur Sprache gebracht und umgesetzt werden können.

Das Gegenmittel für ein in sich geschlossenes Davos besteht aus einem offenen politischen System – und um dieses sollte man sich viel mehr Sorgen machen als um markige Sprüche aus Graubünden.

Bild: World Economic Forum

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