close

Meinungen - 04.02.2014 - 00:00 

Rehabilitation von «Straftätern»

Paul Grüninger wurde 1940 verurteilt und in den 1990er Jahren nachträglich begnadigt. HSG-Rechtsprofessor Lukas Gschwend über den Unterschied von politischer und juristischer Rehabilitation.

$alt

4. Februar 2014. Mit dem Film «Die Akte Grüninger» findet ein problematisches Kapitel der St.Galler Geschichte während des Zweiten Weltkriegs erneut das Licht der Öffentlichkeit. 1939 wurde der damalige St.Galler Polizeikommandant, Paul Grüninger, dem gesetzeswidrige Unterstützung jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland in der Schweiz vorgeworfen wurde, von der Regierung entlassen. 1940 erfolgte die Verurteilung wegen Amtspflichtverletzung und Urkundenfälschung durch das Bezirksgericht. 1993 wurde der 1972 verstorbene Grüninger von der St.Galler Regierung politisch rehabilitiert, zwei Jahre später erfolgte die juristische Rehabilitation durch das Bezirksgericht St.Gallen.

Definition Rehabilitation
Der Begriff «Rehabilitation» hat unterschiedliche Bedeutungen. Im juristischen Kontext versteht man darunter meist den nachträglichen Freispruch einer Person nach einem Wiederaufnahme- oder Revisionsverfahren, gelegentlich auch die Aufhebung von Massnahmen oder die Begnadigung. Durch ein Revisionsverfahren kann gestützt auf neue Erkenntnisse oder Beweismittel eine verurteilte Person auch Jahrzehnte nach in Rechtskrafttreten eines Urteils freigesprochen werden, wenn sich nachträglich deren Unschuld erweist. Ist der Verurteilte verstorben, so dient eine posthume juristische Beurteilung zwar nur noch begrenzt dessen Rechtsschutz, doch wird dadurch die Verpflichtung des Rechts gegenüber den Grundsätzen von Wahrheit und Gerechtigkeit in zeitlicher Hinsicht verstetigt. Der Rechtsstaat ist daher zur Korrektur von Justizirrtümern grundsätzlich verpflichtet.

Änderung von Recht und Moral

Die juristische Neubeurteilung vergangener Rechtsprechungsakte ist freilich nicht unproblematisch. Die Justiz bewegt sich wie alle menschlichen Einrichtungen im Strom der Zeit. So ändert sich nicht nur das Gesetz, sondern auch die Auffassung von Recht und Moral, die Erkenntnismöglichkeiten und das richterliche Selbstverständnis unterliegen einem ständigen Wandel. Über historische Verhältnisse nach den Massstäben des geltenden Rechts zu urteilen, ist fragwürdig und meist sinnlos, jedenfalls wenn nur auf das positive Recht Bezug genommen wird. Es ist einem aktuellen Gericht aber durchaus möglich, zu überprüfen, ob ein Gericht in vergangener Zeit das damals geltende Recht richtig angewandt hat, jedenfalls soweit bereits rechtsstaatliche Verhältnisse mit expliziten gesetzlichen Grundlagen und eine aussagekräftige Aktenlage angetroffen werden. In solchen Fällen, wozu auch der Fall Grüninger zu rechnen ist, macht eine Neubeurteilung nicht nur Sinn, vielmehr stellt sie die unbedingte Rechtsbindung der Justiz im Rechtsstaat unter Beweis. Dagegen ist es fragwürdig, wenn ein heutiges Gericht Verhältnisse beurteilen soll, die unter ganz anderen, weit zurück liegenden historischen Vorzeichen standen, etwa frühneuzeitliche Hexenprozesse, die Verurteilung von Märtyrern in der Antike oder die rechtliche Regelung von Kriegsbeuten und Eroberungen während des Ancien Regime. Eine juristische Rehabilitation lässt sich in diesen Fällen nicht sinnvoll bewerkstelligen. Es ist nicht an der Justiz, alle Irrtümer und Ungerechtigkeiten der Menschheitsgeschichte zu korrigieren.

Rehabilitation im historischen Kontext

Dagegen ist die politische Rehabilitation eines vergangenen Rechtsaktes gestützt auf eine rechtshistorische Beurteilung mitunter sinnvoll, auch wenn sie nicht eine juristische, sondern primär eine moralische Rehabilitierung historischer Persönlichkeiten und Verhältnisse bewirkt. Wenn politische Behörden heute einst als Hexen verurteilte und hingerichtete Frauen oder diskriminierte, damals obrigkeitlich verfolgte Minderheiten explizit rehabilitieren, so hat dies nicht nur einen wichtigen ethischen Wert im Hinblick auf die historische Aufarbeitung und die Berichtigung des Geschichtsbildes, sondern auch hinsichtlich einer vermehrten Sensibilisierung für irrtümliche Einschätzungen in der Gegenwart und Zukunft. Eines wachen Bewusstseins für mögliche Irrtümer bedürfen nicht nur die Gerichte, sondern vielmehr alle mitdenkenden und Verantwortung tragenden Menschen.

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north