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Meinungen - 10.02.2014 - 00:00 

Turbulenzen in Schwellenländern

Anleger – hauptsächlich Kleinanleger – ziehen Milliarden von Dollars aus mehreren hoch gehandelten Schwellenmärkten ab. HSG-Professor Simon J. Evenett beschreibt die Hintergründe und erklärt, weshalb die politischen Entscheidungsträger Zeit schinden.

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Wie üblich führt diese Marktvolatilität zu gegenseitigen Schuldzuweisungen, wobei u.a. der indische Zentralbankpräsident erklärt hat, die internationale monetäre Zusammenarbeit sei zusammengebrochen (wie wenn sie je begonnen hätte – aber das ist ein anderes Kapitel!). Andere wieder kontern, dass die «schwachen Grundfaktoren» dafür ausschlaggebend sind, dass einige Schwellenmärkte mit der Abwicklung des dritten Akts im quantitativen Lockerungsprozess der amerikanischen Zentralbank nicht zurechtkommen.

In diesem Artikel geht es nicht um die gegenseitigen Schuldzuweisungen, sondern um ein anderes Merkmal dieser von den Schwellenländern durchgemachten turbulenten Zeiten: nämlich um die unzähligen Ratschläge an die Adresse der Entwicklungsländer. Nur sehr wenige dieser Ratschläge werden dann auch befolgt, und ich möchte die Gründe dazu darlegen. «Das Interesse der ausländischen Anleger – und ihre Anlagen – kann man in jenen Ländern am besten damit sicherstellen, indem man Reformen zur Erhaltung einer wirtschaftlichen Dynamik umsetzt.» So die «Financial Times» am vergangenen Samstag in ihrem Leitartikel die Beurteilung der neuerlichen Turbulenzen auf den Schwellenmärkten. Zielt dieser Ratschlag schlicht in die falsche Richtung?

Nun gibt es Ökonomen, die sich wirklich für die Frage interessieren, wie sich Länder verhalten sollten, wenn die Anleger den Glauben verlieren. Ich kann das begreifen, aber für mich als ehemaligen Weltbankfunktionär stellt sich die Frage, weshalb diese Ratschläge immer und immer wieder wirkungslos bleiben. Als Wirtschaftswissenschaftler komme ich dabei zwangsläufig auf Anreize zu sprechen: Worin besteht der Anreiz für politische Entscheidungsträger, richtig zu handeln?

Kürzlich hat Gavyn Davies einen unmissverständlichen Beschrieb der Fete geliefert, die mehreren grösseren Schwellenländern seit Jahren am Abgehen ist. Kreditblasen, Immobilienblasen, vom Konsumwarenmarkt angetriebene Hochkonjunkturlage – wir haben den Film bereits gesehen und wissen auch, wie er ausgeht. Davies weist zu Recht darauf hin, dass das Risiko eines «plötzlichen Stopps» von Kapitalzufluss zu einem scharfen wirtschaftlichen Abschwung führen wird. Sicher sind die Reserven heute umfangreicher als in den neunziger Jahren, und mehr Länder haben ein flexibles Wechselkurssystem. Aber werden die Regierungen von diesen Stossdämpfern Gebrauch machen? Um es mal so zu sagen: Kommt es diesmal tatsächlich anders?

Eine Zeitlang in ihren Schuhen

Bevor wir zur Belehrung der politischen Entscheidungsträger in den Entwicklungsländern ansetzen, sollten wir eine Zeitlang in ihren Schuhen verbringen – nicht, um irgendwelche Ausflüchte zu machen, sondern um einen anderen Blickwinkel zu erhalten. Erstens sind viele Schwächen der Schwellenländer, ob derer sich die Analysten heute Sorgen machen, gar nicht neu, wurden von in- und ausländischen Anlegern jedoch jahrelang ausser Acht gelassen. Sogar das als «Tapering» bezeichnete Herunterfahren der quantitativen Lockerung durch die Fed wird seit einiger Zeit in Aussicht gestellt.

Skeptische Amtsträger mögen sich wundern, ob die von den Anlegern jetzt angebrachte Kritik nichts mehr ist als eine Ex-Post-Rationalisierung, währenddessen in Tat und Wahrheit eine gute alte Panik im Gange ist. Panik kommt auf, wenn Anleger versuchen, anderen Anlegern zuvorzukommen – will heissen: Sie verkaufen, weil sie erwarten, dass die anderen auch verkaufen werden. In einer Panik wirken politische Ankündigungen nur dann, wenn sie die Erwartungshaltungen verändern können. Und die Amtsträger werden feststellen, dass angstbedingte Erwartungen nur schwer umzustimmen sind.

Stimmung bei den Anlegern

Zweitens gestaltet sich das Ergreifen schmerzhafter politischer Massnahmen umso unattraktiver, je mehr die Entscheidungsträger spüren, dass die von der Anlegerstimmung erzeugten Störgeräusche das effektive Signal (Reaktionsfähigkeit auf die Grundfaktoren) übertönt. Schlimmer noch: Vor Torschluss ausgeführte einschneidende politische Schachzüge werden als Panikausbruch seitens der Amtsträger und als politisch untragbar betrachtet, und so bleibt eine Politik der kleinen Schritte dann noch als einzige Option, was indes so oder so kaum Eindruck macht. Die Entscheidungsträger kommen dann vermutlich zum Schluss, dass sie eh nichts richtig machen können, was immer sie auch anstellen – und nehmen dies als Vernunftsgrund dazu, überhaupt nichts zu tun. Anstatt zu versuchen, den Markt zu beeinflussen, solange er noch funktioniert, dürften die Verantwortlichen kalkulieren, sie hätten bei den Aufräumarbeiten nach einem plötzlichen Stopp die grössere Einflusskraft.

Insoweit es sich bei den von den Anlegern angeprangerten schwachen Grundfaktoren um tief verwurzelte Merkmale wie z.B. Korruption und nicht sehr unabhängige Zentralbanken handelt, sind sich die Entscheidungsträger drittens im Klaren darüber, dass die Anleger nur mit einem radikalen Wandel der Innenpolitik zu überzeugen sind. Doch wodurch soll dieser ausgelöst werden? Warum sollten etablierte Interessen plötzlich kapitulieren oder ausgeschaltet werden können? Dazu kommt es mit Sicherheit nicht. Die Entscheidungsträger dürften sich eher der Meinung hingeben, die Anleger hätten die Latte zu hoch gelegt.

Turbulenzen und Hinhaltetaktik

Aus all diesen Gründen ist nicht zu erwarten, dass die Politik den plötzlichen Stopps ein Ende setzt. Gewiss: Wenn die Regierung beginnt, nach der Flucht der ungebundenen Anleger die Scherben zu auzusammeln, werden die politischen Entscheidungen bedeutsame Konsequenzen dafür haben, wer die Verluste zu tragen hat und wo die künftigen Anlagemöglichkeiten liegen – Angelegenheiten, denen kluge Anleger zweifelsohne nachgehen werden. Tatsächlich sind die Druckmittel der Politik hier viel grösser als bei den vielgepriesenen Strukturreformen. Solche Reformen mögen sich nutzbringend auf das Wachstum auswirken, aber nur viele Jahre später – und wegen dieser gelegentlichen, verzögerten Auswirkungen sind diese Strukturreformen für die Anleger von geringer unmittelbarer Bedeutung.

Es ist also nicht schwierig, die Hinhaltetaktik der Regierungen während der Marktturbulenzen zu verstehen. Falls sich kein externer Schock einstellt, wird die Politik die Entgleisungen in den gefährdeten Schwellenmärkten nicht verhindern können. 2014 wird also kein langweiliges Jahr.

Eine Kurzfassung dieses Blogs erschien auf der Website der «Financial Times».

Bild: Photocase / Marc Walter

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