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Meinungen - 19.08.2013 - 00:00 

Wahlkampf und Euro-Krisenpolitik

Im deutschen Wahlkampf regt sich wenig Widerstand gegen die aktuelle Euro-Krisenpolitik. Den Wahlkampf dominieren Themen wie Familienpolitik und die US-Abhöraffäre. Eine Bestandsaufnahme von HSG-Politologe Daniele Caramani.

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2. September 2013. Im vergangenen Sommer sah es eine Zeitlang lang so aus, als würde die Bekämpfung der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa seit dem 2. Weltkrieg den Kontinent in zwei Lager spalten. Und so das ambitionierte Ziel, Europa zu vereinen, gefährden. Auf der einen Seite stand die «Sparpolitik» von Angela Merkel. Auf der anderen Seite die «Wachstumspolitik». Die Bundestagswahlen 2013 werden mit Spannung erwartet und werden als Katalysator in dieser Auseinandersetzung gewertet.

Wenig Widerstand gegen Euro-Krisenpolitik
Die Erwartung, dass die Wahl einen fruchtbaren Boden für eine ernstzunehmende Opposition bereiten könnte, wurde durch Wahlen in anderen Ländern geschürt. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2012 in Frankreich war der Gegensatz zwischen Wachstum und der Sparpolitik, die man Griechenland und anderen Krisenländern der europäischen Peripherie vonseiten der Europäischen Kommission und der IWF verordnet hatte, das Hauptthema im Wahlkampf. In Italien waren Sparmassnahmen und Kürzungen der technokratischen Regierung unter Mario Monti die Wahlkampfthemen bei den Parlamentswahlen Anfang des Jahres. Viele Beobachter gingen davon aus, dass sich im deutschen Wahlkampf dieselbe Spaltung über die fundamentale Wirtschafts- und Finanzkrise zeigen würde wie im Rest Europas.

Überraschenderweise ist das jedoch nicht der Fall. Im deutschen Wahlkampf regt sich wenig Widerstand gegen die aktuelle Euro-Krisenpolitik der Regierung Angela Merkels. Stattdessen hat man bislang den Luxus, sich im Wahlkampf um Themen wie Familienpolitik und die US-Abhöraffäre zu kümmern. Die deutschen Wähler und die grossen politischen Parteien sind nicht in die zwei Lager Sparpolitik gegen Wachstumspolitik gespalten. Umfragen zeigen eine starke Unterstützung der CDU-geführten Koalition und ein Sieg der Partei der Kanzlerin scheint zu diesem Zeitpunkt als gesichert.

Populismus im Wahlkampf
Während die meisten Amtsinhaber in den Euroländern von der Wählerschaft für ihr Krisenmanagement verantwortlich gemacht wurden (insbesondere in Frankreich, wo Präsident Sarkozy nicht wiedergewählt wurde, aber auch in Irland, Italien, Griechenland, Spanien und anderen Ländern), steht die Wiederwahl der derzeitigen Bundesregierung so gut wie fest. Es gibt noch ein weiteres Element, das die europäische Landschaft verunsichert, jedoch Deutschland von anderen Ländern unterscheidet: der Populismus. Es gab zwar eine Partei, die versuchte, eine anti-europäische Plattform zu formulieren, aber ihr Umfrageerfolg war nur von kurzer Dauer. Und auch die Herausforderung durch Die Linke zeigt nur wenig Erfolg. Auf Deutschland scheint der Satz eines Regierungschefs der Eurozone zumindest nicht zuzutreffen, der sagte: «Wir wissen alle, was zu tun ist, aber wir wissen nicht, wie wir anschliessend auch wiedergewählt werden.»

Das bedeutet, dass unabhängig davon, welche Koalition aus den Wahlen hervorgehen wird – Schwarz-Gelb, wie gehabt (CDU/CSU und FDP), oder eine Neuauflage der grossen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD – ein bedeutender Positionswechsel unwahrscheinlich ist. Und die bisherigen Versuche der europäischen Partner (wie Frankreich und Italien), die Deutschen zu einem Positionswechsel zu veranlassen, waren zumeist eher zaghaft und wenig erfolgreich. In Deutschland selbst spielt das Thema in diesem Wahlkampf eine untergeordnete Rolle und stösst auch unter den Sozialdemokraten auf nur wenig Widerspruch.

Wirtschaftspolitik der Technokraten
Dieser Mangel an Opposition zur Europapolitik hat geschichtliche Gründe. In den 1960er- und 70er-Jahren wandte sich die Linke gegen eine europäische Integration aufgrund der (wie es heute erscheint: berechtigten) Furcht, dass nationale Regierungen durch Inflation, Zinspolitik, Währungsunion und Liberalisierung ihrer Instrumente zur Steuerung der Wirtschafts- und Währungspolitik beraubt würden. In den 1980er- und 90er-Jahren – das heisst nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa – entwickelten die Linksparteien eine gemeinsame Position und wurden zu Befürwortern der europäischen Integration. Die Wirtschaftspolitik wurde zunehmend von Technokraten bestimmt und die Linken (wie beispielsweise die griechische PASOK-Partei, die sozialistischen Parteien Irlands, Frankreichs und Portugals, die PSOE in Spanien und die italienischen Demokraten) werden heute von den Wählern nicht mehr als glaubwürdige Alternative angesehen. Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement drückt sich für die Linken nicht in Stimmen aus.

Spaltung gefährdet Währungsunion
All dies wird vermutlich eine spaltende Wirkung haben. Aber erstens verläuft der Graben zwischen den Gegnern der Spar- und der Wachstumspolitik nicht zwischen Links und Rechts, sondern eher zwischen den Mitgliedsstaaten: es findet eine territoriale Trennung der europäischen Wählerschaft nicht auf ideologischer sondern auf nationaler Ebene statt. Es hat sich eine Opposition zwischen und nicht innerhalb von Staaten herausgebildet. Zweitens geht die Opposition gegen die Sparpolitik, die Kanalisierung der Unzufriedenheit über die Lähmung der nationalen Regierungen und der Protest gegen die technokratische Elite der EU nicht von den etablierten, sondern von populistischen Parteien aus – wie die Wahlen in Griechenland, Frankreich und Italien gezeigt haben.

Diese beiden Strömungen überlappen sich: das, was Politiker als Populismus an der Peripherie wahrnehmen und das, was das südliche Europa als technokratische Politik in der Mitte wahrnimmt. Diese Spaltung hat ein zerstörerisches Potential und könnte eine Gefahr für die Währungsunion darstellen. Deutschland darf aufgrund seiner Führungsrolle in der Eurozone die wachsende Unzufriedenheit an der Peripherie nicht im Wahlkampf ignorieren.

Bild: Photocase / hmdd

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